Alles zum Projekt „Safe to engage“
Politiker*innen und Engagierte vor Anfeindungen schützen
Ob Bundestagsabgeordnete, Klimaaktivist oder Kommunalpolitikerin – wer sich für unsere Gesellschaft engagiert, ist häufig von digitaler Gewalt betroffen. Diese Angriffe hinterlassen Spuren: Viele passen ihren Kommunikationsstil an oder überlegen ganz genau, was sie öffentlich sagen und teilen.
Andere fragen sich, ob sie überhaupt noch sichtbare, verantwortungsvolle Rollen wie Bürgermeister oder Sprecherin einer Initiative übernehmen sollen – oder ob sie sich ganz aus der politischen Arbeit zurückziehen müssen. Damit verändert digitale Gewalt, wie sich Menschen für unsere Gesellschaft einsetzen.
Den zunehmenden Anfeindungen und Bedrohungen setzen wir das Projekt „Safe to engage: Securing democratic voices online“ entgegen. Das Ziel: Politisch Aktive vor Diffamierungen, Morddrohungen und anderen Formen digitaler Gewalt schützen. Damit wollen wir die Rahmenbedingungen für alle verbessern, die sich für unsere Gesellschaft engagieren.
Unsere Forschungserkenntnisse
Angegriffen & alleingelassen
Die Technische Universität München befragte in Kooperation mit HateAid politisch Aktive zu ihren Erfahrungen mit digitaler Gewalt. Die Studie zeigt: Digitale Anfeindungen gegen Politiker*innen, Aktivist*innen und andere politisch Engagierte prägen die politische Arbeit. Und sie gefährden die Bereitschaft von politisch engagierten Menschen, sich weiter für unsere Demokratie einzusetzen.
aller befragten politisch Engagierten berichteten von Anfeindungen im Internet.
derjenigen, die digital angefeindet wurden, erlebten auch analoge Gewalt. Die Gewalt bleibt nicht im Internet.
der betroffenen Frauen berichteten von geschlechtsspezifischer Gewalt wie Frauenhass und misogynen Aussagen.
Anfeindungen gegen Frauen in der Politik
Die Studie verdeutlicht: Frauen sind nicht nur häufiger (63 %) von digitaler Gewalt betroffen als Männer (53 %), sondern auch sexualisierter. Die gegen sie gerichteten Anfeindungen waren oft persönlich und misogyn, also frauenfeindlich. Ein ähnliches Bild zeigte sich im analogen Raum: Fast jede zweite betroffene Frau berichtete von dort stattfindender geschlechtsspezifischer und sexueller Belästigung. Das hat Folgen: 49 % der politisch engagierten Frauen überlegen bereits, bewusst keine Position anzunehmen, in der sie fürchten, besonders häufig digitaler Gewalt ausgesetzt sein zu können. Fast ein Viertel hat schon einmal überlegt, aus ihrem aktuellen politischen Engagement auszusteigen.
Gefahr für unsere Gesellschaft
Viele politisch Engagierte wünschen sich angesichts der Anfeindungen mehr Unterstützung. 49 % der befragten Männer und sogar 66 % der befragten Frauen gaben an, sich hinsichtlich ihres politischen Engagements nicht ausreichend auf digitale Gewalt und ihre Folgen vorbereitet zu fühlen. Vor diesem Hintergrund besteht die Gefahr, dass digitale Gewalt Menschen davon abhält, in Deutschland mehr politische Verantwortung zu übernehmen. Dabei sind sowohl Politiker*innen als auch Berufsgruppen wie Journalist*innen oder Influencer*innen auf das Internet als öffentlichen Raum angewiesen.
Das fordern wir
Mehr Schutz vor Hass
Damit sich in unserer Gesellschaft alle ohne Angst vor Hass und Gewalt einbringen können, müssen Bundesregierung, Parteien und alle anderen Entscheidungsträger*innen dringend Maßnahmen ergreifen, um politisch Engagierte zu unterstützen und zu schützen.
- Parteiinterne Anlaufstelle für Betroffene: Es braucht eine institutionalisierte, innerparteiliche Anlaufstelle für Betroffene von digitaler Gewalt. Die Erhebung zeigt sehr klar, dass die bisherigen Ansprechpersonen nicht als ausreichend wahrgenommen werden. Diese Stelle muss den Parteimitgliedern bekannt und mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet sein, um z. B. Inhalte zu melden, Beweise zu sichern und bei Strafanzeigen zu unterstützen.
- Kandidierende proaktiv schützen: Kandidierende sind bei Anfeindungen meist auf sich allein gestellt. Parteien müssen ihnen präventive Vorbereitung auf Hasskampagnen und Grundlagen der Krisenkommunikation anbieten und ihnen während der Angriffe Social-Media-Screenings und Moderationsressourcen zur Verfügung stellen.
- Konsequente und zeitnahe Strafverfolgung: Gewalt gegen Personen des politischen Lebens ist kein privates Problem, sondern ein gesellschaftliches. Durch die Erweiterung des §188 StGB sollte dem bereits begegnet und die Strafverfolgung von Beleidigungsdelikten in bestimmten Fällen auch ohne Strafantrag ermöglicht werden, wenn sie das öffentliche Wirken beeinträchtigen. Die Norm erfasst daher aber keine Anfeindungen per Privatnachricht oder E-Mail, ist nicht auf Journalist*innen und Aktivist*innen anwendbar und wird auch bei öffentlichen Kommentaren sehr restriktiv ausgelegt. Es braucht jedoch auch in den Fällen, die nicht von der Norm erfasst sind, eine konsequente Strafverfolgung von Hasskriminalität gegen politisch Engagierte. Von einer Einstellung der Verfahren muss in diesen Fällen abgesehen werden und ein Verweis auf den Privatklageweg verbietet sich (entsprechend Nr. 86 RiStBV). Zudem müssen Verfahren zeitnah abgeschlossen werden. Es ist unbedingt erforderlich, dass Strafverfolgungsbehörden und Justiz hierfür mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet werden.
- Durchsetzung der EU-Digitalgesetzgebung: Die Plattformen sind nach dem EU-Digitalgesetz, dem Digital Services Act, verpflichtet, Risiken für die öffentliche Debatte und Wahlen zu minimieren. Unter anderem durch die Anpassung ihrer Algorithmen sowie der Moderation von Inhalten. Das bedeutet, dass etwa Politiker*innen vor allem unmittelbar vor und während Wahlen besonders vor organisierten Angriffen und Desinformationskampagnen geschützt werden müssen und die Gewalt nicht algorithmisch verstärkt werden darf.
Das haben wir vor
Wie wir Engagement stärken
Mit dem Projekt „Safe to engage: Securing democratic voices online“ leisten wir einen wichtigen Beitrag, um Politiker*innen, Aktivist*innen und weitere politisch Aktive vor Anfeindungen zu schützen.
- Daten generieren: Mit unseren Forschungspartnern Technische Universität München und der Blavatnik School of Government an der Universität Oxford schaffen wir neue wissenschaftliche Erkenntnisse im Bereich digitale Gewalt gegen politisch Aktive.
- Engagierte fördern: Wir unterstützen und stärken (angehende) Politiker*innen mit einem Empowerment-Programm.
- Mehr Aufmerksamkeit: Mit Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit klären wir über digitale Gewalt gegen politisch Engagierte auf.
- Politik bewegen: Wir fordern bundesweit und auf EU-Ebene Verbesserungen in Gesetzgebung, Strafverfolgung, bei den Plattformen und in der Zivilgesellschaft zum Schutz von politisch Engagierten ein.
Wissenschaftliche Grundlage
Verzahnung von Zivilgesellschaft & Wissenschaft
Das Besondere an dem Projekt: Zivilgesellschaft und Wissenschaft arbeiten eng zusammen. Als wissenschaftliche Grundlage hat die Blavatnik School of Government der Universität Oxford im Auftrag von HateAid einen Fhttps://www.bsg.ox.ac.uk/orschungsbericht erstellt.
Mit einem Fokus auf die Situation von Frauen in der Politik, fasst der Bericht „Strengthening democracy by reducing threats to women in politics“ weltweit schon existierende Gesetze und Handlungsmöglichkeiten zum Schutz von Politikerinnen für Zivilgesellschaft, Forschung und Politik zusammen. Denn die internationale Forschung zeigt, dass Frauen von Anfeindungen besonders betroffen sind. Die Erkenntnisse aus dem Bericht dienen als Grundlage für das Empowerment-Programm sowie unsere politischen Forderungen und Kampagnen.
Beschimpfungen für viele akzeptabel
YouGov-Befragung
Um ein klareres Bild von Anfeindungen gegen Frauen in der Politik zu erhalten, ließ HateAid 2024 eine repräsentative Befragung von YouGov durchführen. Diese zeichnet ein erschütterndes Bild. Zwar wünscht sich eine überwältigende Mehrheit (86 Prozent) einen respektvollen Umgang miteinander – auch im Internet.
Wenn es aber um den Respekt gegenüber Politikerinnen geht, sieht das plötzlich ganz anders aus.
43 Prozent finden, dass Politikerinnen Anfeindungen im Netz aushalten müssen, weil es zu ihrem Job gehört.
Die verwendeten Daten beruhen auf einer Online-Umfrage der YouGov Deutschland GmbH, an der 2.151 Personen zwischen dem 16.02. und 20.02.2024 teilnahmen.
Die Ergebnisse wurden gewichtet und sind repräsentativ für Wahlberechtigte in Deutschland. Die Abfrage aller genannten Ergebnisse erfolgte auf einer Fünfer-Skala („Stimme voll und ganz zu“ – „Lehne voll und ganz ab“) mit einer zusätzlichen Ausweichkategorie.
Die oben genannten Ergebnisse fassen die jeweiligen Anteile für „Stimme voll und ganz zu“ und „Stimme eher zu“ zusammen.
Folgen für unsere Gesellschaft
Eine Bedrohung für unsere Demokratie
Es braucht eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, um politisches Engagement zu schützen. Wenn wir jetzt nicht umfassend gegen digitale Gewalt vorgehen, ist die Zukunft politischen Engagements in Deutschland gefährdet und damit eine wesentliche Säule für das Bestehen unserer repräsentativen Demokratie.
Foto: HateAid
„Der Schutz von politisch Engagierten ist entscheidend für unsere Demokratie. Denn digitale Gewalt bedroht nicht nur die Sicherheit der betroffenen politisch Aktiven und ihrer Familien, sondern untergräbt auch das fundamentale Recht, sich frei und ohne Furcht politisch engagieren zu können.
Indem wir uns für den Schutz vor Anfeindungen im Netz einsetzen, fördern wir eine starke Demokratie und eine gerechtere Gesellschaft für alle.“
Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin bei HateAid
Unsere Demokratie funktioniert nur dann gut, wenn alle am öffentlichen Diskurs teilnehmen und sich dabei sicher fühlen können. Dazu wollen wir mit „Safe to engage: Securing democratic voices online“ beitragen.
Wir unterstützen dich
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