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Gemischte Bilanz: Digital Services Act löst NetzDG ab

Ab dem 17. Februar gilt der europäische Digital Services Act (DSA) für alle Social-Media-Plattformen. Damit wird der DSA das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ablösen, das die erste Regulierung in Europa gegen Hassverbrechen in sozialen Medien war. Diese Veränderung kommt vor allem Social-Media-Nutzenden in Mitgliedsstaaten zugute, in denen zuvor keine Regulierung existierte. Für Nutzende aus Deutschland bringt das neue Gesetz jedoch auch Verschlechterungen mit sich. Für eine erfolgreiche Umsetzung des Gesetzes fordert HateAid daher die Aufsichtsbehörden auf, die Einhaltung der neuen Regeln durch die Social-Media-Plattformen konsequent durchzusetzen.  

Mehr Rechte für Nutzende auf Social-Media-Plattformen

Ob Social-Media-Gigant oder kleinere Plattform: Der DSA gilt nicht nur für einige ausgewählte große soziale Netzwerke, sondern reguliert erstmals auch Gaming- und Pornoplattformen, berufliche Netzwerke wie LinkedIn und alle kleinen Plattformen. Alle Plattformen müssen nun Nutzenden und Betroffenen von digitaler Gewalt mehr Rechte einräumen. Das umfasst zum Beispiel benutzerfreundliche Meldekanäle für illegale Inhalte und Beschwerdemechanismen.

Dazu Josephine Ballon, CEO von HateAid:
„Der DSA stellt Social-Media-Nutzenden neue Instrumente zur Verfügung, um sich gegen digitale Gewalt zu wehren. Jedoch zeigt unsere Erfahrung mit den Plattformen: Es ist zu befürchten, dass Musk, Zuckerberg und andere Plattformbetreibende Schlupflöcher im Gesetz suchen und ausnutzen werden. In der Vergangenheit haben die Plattformen es damit Nutzenden erschwert, ihre Rechte durchzusetzen. Deshalb muss insbesondere die Bundesnetzagentur als Aufsichtsbehörde und erste Anlaufstelle für Nutzende sicherstellen, dass sich die Plattformen an die Regeln halten und die Anliegen Betroffener digitaler Gewalt ernstnehmen.“

Rückschritte in Deutschland für die Sicherheit im Internet

Kein guter Start für den DSA in Deutschland, denn es kommt gleich zu Beginn zu erheblichen Verzögerungen in der Umsetzung. Das liegt daran, dass die deutsche Aufsichtsbehörde, die Bundesnetzagentur, nicht rechtzeitig offiziell benannt wurde und so ihre Arbeit nicht pünktlich aufnehmen kann. Die Benennung wird voraussichtlich erst nach Abschluss des parlamentarischen Verfahrens Anfang Mai geschehen.

Dieser Zustand führt zu großer Unsicherheit unter Nutzenden und der Zivilgesellschaft. Denn ohne zuständige Aufsichtsbehörde haben Nutzende keine Möglichkeit, offiziell Verstöße gegen den DSA zu melden. NGOs können keine „Trusted Flagger“ werden, die von privilegierten Meldekanälen zu Online-Plattformen profitieren. Für Deutschland und andere Mitgliedstaaten, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, ist das ein entmutigender Start.

Darüber hinaus wird der Umgang mit illegalen Inhalten auf den Plattformen in vielen Fällen weiterhin abhängig von den einzelnen Mitgliedsstaaten sein, da der DSA keine einheitliche Definition liefert, welche Inhalte in der EU als illegal zu werten sind. Nutzende verlieren auch das Recht, sich an eine zustellungsbevollmächtigte Stelle der Plattform in Deutschland zu wenden, um ihre Rechte gegenüber Social-Media-Plattformen durchzusetzen. Daher müssen Nutzende rechtliche Ansprüche, wie zum Beispiel die Entfernung von Inhalten, am Sitz der Plattform geltend machen, die oft im Ausland ist. Das bedeutet: Rechtliche Dokumente müssen im Ausland und in einer Fremdsprache zugestellt werden. Das sind hohe Hürden. Außerdem sind die Plattformen nicht mehr verpflichtet, illegale Inhalte innerhalb einer Frist von 24 Stunden zu entfernen.

HateAid wird die neuen Instrumente, die der DSA mit sich bringt, systematisch testen und sich für deren konsequente Umsetzung einsetzen. Im Vergleich zum NetzDG konzentriert sich der DSA weniger auf das Entfernen von Beiträgen. Stattdessen liegt der Fokus auf der Reduzierung systemischer Risiken, die von Online-Plattformen ausgehen. Dazu gehören geschlechtsspezifische digitale Gewalt, die Verbreitung illegaler Inhalte und Auswirkungen auf Wahlen. HateAid fordert Einblicke in die Berichte zur Risikobewertung, die sehr große Online-Plattformen bereits vor Monaten bei der EU-Kommission eingereicht haben. Denn bisher hat die Regulierung der Plattformen noch keine Verbesserung in deren Transparenz gebracht. In einem Jahr mit über 70 Wahlen weltweit besteht ein dringender Bedarf an Informationen darüber, wie Plattformen mit den Risiken zum Beispiel für unsere Demokratie umgehen und reduzieren. Denn Expert*innen warnen vor dem wachsenden Einfluss rechtsradikaler und antifeministischer Bewegungen online, die beispielsweise Frauen in der Politik zunehmend einschüchtern und aus der öffentlichen Debatte verdrängen.

Während des Gesetzgebungsprozesses hatte sich HateAid für eine stärkere Regulierung von Plattformen eingesetzt, um Nutzende vor digitaler Gewalt zu schützen. Zudem forderte HateAid ein, dass große Pornoplattformen wie Pornhub und XVideos denselben Regeln wie alle anderen großen Social-Media-Plattformen folgen müssen. Tatsächlich hat die EU-Kommission im Dezember 2023 für eine entsprechende Regelung gesorgt. HateAid erwartet jetzt, dass auch Plattformen wie Telegram die neuen Regeln einhalten und endlich einen rechtlichen Vertreter in der Europäischen Union benennen.

Alle neuen Regelungen im Detail, sowie Tipps und Hinweise finden sich im von HateAid im Rahmen des Landecker Digital Justice Movements veröffentlichten Leitfaden.

HateAid gGmbH

Die gemeinnützige Organisation HateAid wurde 2018 gegründet und hat ihren Hauptsitz in Berlin. Sie setzt sich für Menschenrechte im digitalen Raum ein und engagiert sich auf gesellschaftlicher wie politischer Ebene gegen digitale Gewalt und ihre Folgen. HateAid unterstützt Betroffene von digitaler Gewalt konkret durch Beratung und Prozesskostenfinanzierung. Geschäftsführerinnen sind Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon. 

HateAid ist Trägerin der Theodor-Heuss-Medaille 2023.  

Im Rahmen des Landecker Digital Justice Movements finanziert HateAid Grundsatzprozesse gegen Online-Plattformen, um grundlegende Nutzer*innenrechte gerichtlich klären zu lassen.

Pressekontakt: presse@hateaid.org, Tel. +49 (0)30 25208837

Pressematerial


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