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Grafik mit Twitter(X)-Vogel, der in ein schwarzes Loch fällt

Shoah-Leugnung auf X: Plattform findet Schlupfloch vor dem Kammergericht Berlin

Heute hat das Kammergericht Berlin – vor vollem Saal – die Berufung im TwitterTrial verhandelt. Auch diesmal fand in der mündlichen Verhandlung keine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus auf der Plattform statt. Stattdessen standen formale Zuständigkeitsfragen im Vordergrund. Josephine Ballon (HateAid) und Avital Grinberg (European Union of Jewish Students, kurz EUJS) reichten Anfang 2023 Klage gegen X (vormals Twitter) ein, um die Plattform rechtlich für strafbare antisemitische Inhalte haftbar zu machen. Die Klage wurde vor dem Landgericht zunächst mit Verweis auf fehlende Zuständigkeit abgewiesen. In der Berufung wurde nun geprüft, ob deutsche Gerichte für eine derartige Klage gegen X zuständig sind.

Die beiden Klägerinnen hatten sechs antisemitische Inhalte, darunter Shoah-Leugnungen, bei X gemeldet. Die Plattform hatte diese trotz Kenntnis nicht entfernt. Grinberg (EUJS) und Ballon (HateAid) wollen X nun juristisch zur Verantwortung ziehen. Sie sind der Ansicht, dass sich aus den AGB, also den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Plattform, eine Pflicht ergibt, derartige Inhalte zu entfernen. Denn in ihren AGB verspricht X explizit, Hassrede gegen marginalisierte Gruppen und die Leugnung der Shoah nicht nur nicht zu dulden. Diese seien ausdrücklich verboten. Nutzende stimmen diesen Regeln bei der Registrierung zu. Ballon und Grinberg fordern, dass auch die Plattform sich entsprechend an diese selbst erteilten Pflichten halten muss.

Das Landgericht hatte die Klage mit Verweis auf fehlende internationale Zuständigkeit zunächst abgewiesen. Begründung: Deutsche Gerichte wären aufgrund des irischen Sitzes des Unternehmens nicht für eine Klage auf Grundlage der AGB zuständig. Denn: Ballon und Grinberg würden ihren X-Account nicht privat als Verbraucherinnen, sondern mit beruflicher bzw. gewerblicher Absicht nutzen. Auch, weil sie öffentlich über das Verfahren gesprochen hätten.

Dazu Avital Grinberg, ehem. Präsidentin der European Union of Jewish Students:
„Während täglich Shoah-Leugnung und antisemitische Hetze auf X verbreitet werden, verhandeln wir vor Gericht immer noch über Zuständigkeiten – nicht über den Hass, der uns jeden Tag entgegenschlägt. Wir haben uns an die Justiz gewandt, aus Schmerz und Verzweiflung, kontinuierlich um digitalen Schutz und Sichtbarkeit kämpfen zu müssen. Denn die Realität ist: Diese Plattform lässt Antisemitismus gewähren und trägt zu seinem Wachstum zu. Es geht nicht nur um ein Urteil. Es geht darum, dass wir von X und der Justiz Mitverantwortung erwarten, jüdisches Leben im digitalen Raum sicher zu gestalten.“

Im Januar 2025 legten die Klägerinnen deshalb Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Berlin ein. Eine Entscheidung zu ihren Gunsten könnte grundsätzlich klären, ob deutsche Gerichte in diesem Fall zuständig sind und welche Schutzpflichten Plattformen wie X gegenüber ihren Nutzenden haben. Das würde den Weg dafür öffnen, diese Pflichten auch für andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit prüfen zu lassen.

Eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Klage fand allerdings auch in dieser mündlichen Verhandlung nicht statt.

Der Austausch von Argumenten konzentrierte sich vor allem auf die Frage, ob Josephine Ballon im vorliegenden Fall als Verbraucherin einzustufen ist. Es wurden Indizien erörtert, darunter das Profibild / der Profilname, aber vor allem die Nutzungsweise des Accounts. Ballon nutzt ihren Account von jeher nur passiv und privat. So wie der Großteil der Social-Media-Nutzer*innen in Deutschland, die einen Account besitzen, aber nur passiv Inhalte konsumieren. Trotzdem tendiert das Gericht dazu, Ballon die Verbrauchereigenschaft abzusprechen.

Dafür ist X verantwortlich: Die Plattform drängte von Anfang an auf die Prüfung der internationalen Zuständigkeit. Eine wirksame Strategie, um sich nicht mit dem Antisemitismus auf der eigenen Plattform auseinandersetzen zu müssen.

Dazu Josephine Ballon, Geschäftsführerin von HateAid:
„Es ist beschämend, dass wir in all den Jahren vor Gericht nicht einmal über Antisemitismus gesprochen haben. X hat ein Schlupfloch gefunden, umgeht den Inhalt der Klage und versucht sich über eine Formalie herauszuwinden. Die Gleichgültigkeit von X gegenüber der Sache selbst zeigt sich deutlich. Wenn die Plattform jüdische Nutzende schützen wollte, würde sie für Klarheit sorgen.“

Antisemitische Inhalte, auch die Leugnung der Shoah, können die digitale Teilhabe jüdischer Menschen einschränken und zur Verbreitung von Falschinformationen beitragen. Auf Plattformen wie X sind solche Inhalte seit der Übernahme durch Elon Musk häufiger sichtbar geworden – auch, weil die Regeln zur Moderation nicht konsequent angewendet werden. Sie sorgen für viele Reaktionen und damit für mehr Reichweite und Werbeeinnahmen.

Dazu Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus:
„Ich bin Josephine Ballon von HateAid und Avital Grinberg von der European Union of Jewish Students dankbar, dass sie mit ihrer Klageerhebung gegen X ein Thema in den Fokus rücken, das durch seine massive Zunahme zu einer gravierenden Gefahr geworden ist: die Verbreitung von antisemitischer Hetze in den sozialen Medien. Hass und Häme für Opfer deutscher Vernichtungslager, Drohungen gegen jüdische Journalisten und Journalistinnen, Mordfantasien, Israelhass, abstruse Verschwörungserzählungen: Der Antisemitismus im Netz wird immer stärker und immer heftiger, gerade auch nach dem 7. Oktober. Wir wissen von etlichen Fällen, in denen sich spätere Gewalttäter und -täterinnen vor ihrer Tat im Netz radikalisiert haben – die Gefahr ist real.“

Die Dringlichkeit, Plattformen zur Verantwortung zu ziehen, zeigt sich in aktuellen Zahlen: Laut RIAS hat sich 2024 die Zahl antisemitischer Vorfälle im Internet mit 1.978 Fällen im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Besonders häufig dokumentiert wurden antisemitische Angriffe in sozialen Netzwerken.

Über die Organisationen

European Union of Jewish Students (EUJS)

Die European Union of Jewish Students (EUJS) ist eine pluralistische, inklusive und überparteiliche Dachorganisation. Sie besteht aus 36 nationaler jüdischer Studierendenunionen in ganz Europa und vertritt diese in internationalen Institutionen und Organisationen. Die EUJS wurde 1978 gegründet mit Mitgliedern, die sich von Russland über Skandinavien bis zum Vereinigten Königreich erstrecken. EUJS wird von einer Präsidentin, einem Geschäftsführer, acht Vorstandsmitgliedern und einem Büro geleitet. Der Hauptsitz befindet sich in Brüssel.  EUJS ermächtigt junge jüdische Erwachsene für einen positiven Beitrag zur europäischen Gesellschaft. Somit erzielt EUJS eine pulsierende und nachhaltige jüdische Zukunft in Europa. Die Mission ist, jüdische Gemeinden und die europäische Gesellschaft durch jüdischen Studierendenaktivismus and Advocacy zu stärken. EUJS verbindet unabhängige und selbstorganisierte Studierendenunionen und unterstützt diese in ihren Zielen, durch Stärkung ihrer religiösen, spirituellen, kulturellen und sozialen Herkunft als auch Sicherstellung ihrer Kontinuität.

Für weitere Informationen über EUJS besuchen Sie die Webseite: https://eujs.org

HateAid gGmbH

Die gemeinnützige Organisation HateAid wurde 2018 gegründet und hat ihren Hauptsitz in Berlin. Sie setzt sich für Menschenrechte im digitalen Raum ein und engagiert sich auf gesellschaftlicher wie politischer Ebene gegen digitale Gewalt und ihre Folgen. HateAid unterstützt Betroffene von digitaler Gewalt konkret durch Beratung und Prozesskostenfinanzierung. Geschäftsführerinnen sind Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon.

HateAid ist Trägerin der Theodor-Heuss-Medaille 2023, des Rothenburger Preises für Erinnerung und Zukunft, des Wertepreises für Demokratie der Werte-Stiftung und des For..Net Awards der Technischen Universität München.

Pressekontakt: presse@hateaid.org, Tel. +49 (0)30 25208837

Pressematerial

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