Neue Studie: Junge Erwachsene stark von sexualisierter Gewalt im Netz betroffen
Sexualisierten Übergriffen im Netz ausgesetzt oder ungewollt Nacktbilder zugeschickt bekommen: Das erlebten bereits 60 Prozent der 18- bis 27-Jährigen, die digitale Gewalt erfahren haben. Besonders oft sind sie außerdem von Beleidigungen, Hassrede, der Verbreitung von Lügen, Cybermobbing und Bedrohung betroffen.
Trotz dieser negativen Erfahrungen ist ein Rückzug aus den sozialen Medien für junge Erwachsene keine Option. Stattdessen zensieren sie sich selbst, um Übergriffen vorzubeugen.
Das sind Ergebnisse einer neuen Studie, die von der Menschenrechtsorganisation HateAid in Zusammenarbeit mit der Universität Klagenfurt herausgegeben wird.
Die Erhebung von HateAid gibt Aufschluss darüber, welche Erfahrungen speziell junge Erwachsene mit digitaler Gewalt machen und welche Auswirkungen das auf ihr Verhalten hat. Befragt wurden mehr als 3.000 Personen ab 14 Jahren mit Wohnsitz in Deutschland. Der Schwerpunkt der Studie liegt auf der Altersgruppe von 18 bis 27 Jahren. Die wichtigsten Ergebnisse:
- Junge Erwachsene sind häufiger betroffen. 63,1 % der befragten 18- bis 27-Jährigen geben an, schon digitale Gewalt beobachtet zu haben. Fast ein Drittel (29,6 %) war bereits selbst betroffen. Unter den über 43-Jährigen waren es demgegenüber nur 9,2 %. Erfahrungen mit digitaler Gewalt werden öfter von Personen berichtet, die angeben, dass sie ein Diskriminierungsmerkmal1 besitzen.
- Sexualisierte Gewalt ist besonders verbreitet. 60 % der betroffenen 18- bis 27-Jährigen haben mindestens einmal sexualisierte Übergriffe im Netz erlebt oder ungewollt Nacktbilder zugeschickt bekommen. Dabei sind weibliche Personen häufiger (67,2 %) betroffen als männliche (51,8 %)2.
- Verzicht auf soziale Medien ist keine Option. Nur knapp ein Fünftel (21,7 %) der 18- bis 27-Jährigen ist der Meinung, dass sich Betroffene von digitaler Gewalt auch einfach von den sozialen Medien abmelden könnten. Unter den über 43-Jährigen sind fast doppelt so viele (41,4 %) dieser Ansicht. Deshalb zensieren sich junge Erwachsene bereits präventiv: Aus Angst vor digitaler Gewalt versuchen sie, online keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen (45 %) und sind grundsätzlich vorsichtig in ihrem Online-Verhalten (57 %).
- Das Internet der Zukunft soll anders aussehen. Junge Erwachsene wünschen sich ein Internet ohne Gewalt, Hass oder Mobbing. Sie fordern effizientere Strafverfolgung, mehr Sanktionierungen (z. B. Sperren oder Strafen) und mehr Regulierung der Plattformen durch die Politik. Teils wünschen sie sich radikal neue Konzepte für soziale Netzwerke, wie beispielsweise nicht-kommerzielle Plattformen.
Dazu Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin von HateAid:
„Für eine ganze Generation gehört digitale Gewalt durch soziale Medien bereits zum Alltag. Dabei ist die hohe Zahl an sexualisierten Übergriffen, die junge Erwachsene bereits erlebt haben, besonders erschreckend. Wir haben viel zu lange weggeschaut: Wir müssen unsere Kinder und Jugendlichen jetzt besser vor Gewalt im Internet schützen. Dafür braucht es dringend ein Mindestmaß an Produktsicherheit für soziale Medien und konsequenten Jugendschutz auch im Netz.“
Weitere Informationen und Download der Studie
Die Studie „In meinem Netz soll es keine Gewalt geben! Wie junge Erwachsene digitale Gewalt erleben und wie sie damit umgehen” wurde 2023 in Auftrag gegeben. Ziel der Erhebung war es, ein differenzierteres Verständnis für Erfahrungen, Wahrnehmungen und Reaktionen junger Erwachsener auf digitale Gewalt und ihre Sichtweise auf den digitalen Raum zu erlangen. Befragt wurden mehr als 3.000 Personen ab 14 Jahren mit Wohnsitz in Deutschland. Den Volltext zur Studie finden Sie hier.
Herausgeberin: HateAid
Wissenschaftliche Leitung: Universität Klagenfurt
Erhebungszeitraum: Oktober – November 2023
Zitationsvorschlag: HateAid (2024): In meinem Netz soll es keine Gewalt geben! Wie junge Erwachsene digitale Gewalt erleben und wie sie damit umgehen. Berlin. https://hateaid.org/wp-content/uploads/2024/07/hateaid-studie-junge-erwachsene-2024.pdf
Die Publikation wurde im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert. Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ bzw. des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben dar. Für inhaltliche Aussagen tragen die Autor*innen die Verantwortung.
HateAid gGmbH
Die gemeinnützige Organisation HateAid wurde 2018 gegründet und hat ihren Hauptsitz in Berlin. Sie setzt sich für Menschenrechte im digitalen Raum ein und engagiert sich auf gesellschaftlicher wie politischer Ebene gegen digitale Gewalt und ihre Folgen. HateAid unterstützt Betroffene von digitaler Gewalt konkret durch Beratung und Prozesskostenfinanzierung. Geschäftsführerinnen sind Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon.
HateAid ist Trägerin der Theodor-Heuss-Medaille 2023.
Pressekontakt: presse@hateaid.org, Tel. +49 (0)30 25208837
Pressematerial
- Das können etwa Geschlecht, Migrationsgeschichte, Religion oder die sexuelle Orientierung sein. ↩︎
- Unter Personen, die angegeben haben, divers, trans, inter oder agender zu sein, lässt sich mit 61,9 % zwar eine ähnliche Tendenz ausmachen. Diese Angabe ist jedoch aufgrund der niedrigen Stichprobe (1,8 % der Befragten in der Altersgruppe der 18-27-Jährigen) nicht repräsentativ. ↩︎