X findet Schlupfloch: Strategische Klage nur in Irland möglich
Das Landgericht Berlin hat die Antisemitismus-Klage gegen X von HateAid und der European Union of Jewish Students (EUJS) mit Verweis auf Unzuständigkeit abgewiesen. Die Klägerinnen seien nicht berechtigt, in Berlin gegen die Plattform zu klagen. Das Urteil hat Auswirkungen auf die Zukunft strategischer Prozessführung in Deutschland.
Im Vorfeld der Verhandlung hatte X auf einen strategischen Prozess verwiesen und die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Berlin gerügt. Die Plattform argumentierte, bei den Klägerinnen – Josephine Ballon von HateAid und Avital Grinberg von EUJS – handele es sich nicht um Verbraucherinnen, unter anderem, weil sie sich gegenüber der Presse und in den sozialen Netzwerken öffentlich zum Verfahren geäußert hätten. Das Gericht folgte der Argumentation.
Dazu Josephine Ballon, Geschäftsführerin von HateAid:
„Dieses Urteil ist der Sargnagel für viele Fälle strategischer Prozessführung in Deutschland. Solche Verfahren wollen grundsätzliche Rechtsfragen klären, die uns alle betreffen. Wir brauchen deshalb auch die öffentliche Debatte, etwa über die Verantwortung von Social-Media-Plattformen. Genau der entzieht sich X jetzt mit juristischen Manövern. Wir werden notfalls durch alle Instanzen gehen, um diese Frage abschließend zu klären.“
Das Landgericht Berlin berief sich in seiner Entscheidung auf Verordnungen der Europäischen Union über gerichtliche Zuständigkeiten. Diese sehen vor, dass grundsätzlich dort geklagt werden muss, wo eine Person oder ein Unternehmen ihren Sitz hat. Ausnahmen gelten für Verbraucher*innen. Für sie gibt es die Möglichkeit, den sogenannten „Verbrauchergerichtsstand“ zu eröffnen und vor einem nationalen Gericht zu klagen. Die beiden Klägerinnen werden Berufung gegen die Entscheidung des Landgerichts Berlin einlegen, um unter anderem die Frage zu klären, ob es sich bei ihnen nicht doch um Verbraucherinnen handelt.
Dazu Avital Grinberg, ehemalige Präsidentin von EUJS:
„Natürlich bin ich auch als Verbraucherin betroffen. Und natürlich spreche ich darüber: Es vergeht kein Tag, an dem uns Jüdinnen*Juden auf X nicht der Tod gewünscht oder die Shoah offen geleugnet wird. Aus einem öffentlichen Diskursraum ist eine Brutstätte für Antisemitismus und Rassismus geworden. Die Plattform versagt nicht nur darin, uns zu schützen, sie duckt sich auch noch weg, wenn es darauf ankommt. Obwohl dieses Verfahren zur unerträglichen Geduldsprobe wird: Wir machen weiter.“
Im sogenannten „TwitterTrial“ geht es um die Frage, ob Nutzende aufgrund der Allgemeinen Geschäftsbedingungen verlangen können, dass strafbare Inhalte gelöscht werden. Gegenstand der Klage sind sechs antisemitische und rechtswidrige Kommentare, die X trotz Meldung zunächst nicht gelöscht hatte. Inhaltlich setzte sich die Kammer in der jetzigen Entscheidung jedoch damit nicht auseinander.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
HateAid gGmbH
Die gemeinnützige Organisation HateAid wurde 2018 gegründet und hat ihren Hauptsitz in Berlin. Sie setzt sich für Menschenrechte im digitalen Raum ein und engagiert sich auf gesellschaftlicher wie politischer Ebene gegen digitale Gewalt und ihre Folgen. HateAid unterstützt Betroffene von digitaler Gewalt konkret durch Beratung und Prozesskostenfinanzierung. Geschäftsführerinnen sind Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon.
HateAid ist Trägerin der Theodor-Heuss-Medaille 2023.
Im Rahmen des Landecker Digital Justice Movements finanziert HateAid Grundsatzprozesse gegen Online-Plattformen, um grundlegende Nutzer*innenrechte gerichtlich klären zu lassen.
Pressekontakt: presse@hateaid.org, Tel. +49 (0)30 25208837