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Josephine Ballon und Dr. Michael Blume vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Beide halten gemeinsam ein weißes Schild mit der Aufschrift "HateAid" in den Händen.

Verleumdungen auf Social Media: Berufungsurteil wirft Grundsatzfrage nach Meldewegen auf 

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main verkündete heute das Urteil im Berufungsverfahren des baden-württembergischen Antisemitismusbeauftragten Dr. Michael Blume. Das Gericht wies seinen Antrag auf Entfernung verleumderischer Kommentare auf der Social-Media-Plattform X (ehemals Twitter) aufgrund einer Formalität in zweiter Instanz überraschend ab. Eine Meldung rechtswidriger Inhalte über das zum Zeitpunkt der Klage zur Verfügung gestellte Formular reiche vor Gericht nicht aus, um eine Haftung zu begründen. Blume war mit Unterstützung der Menschenrechtsorganisation HateAid gegen eine massive Verleumdungskampagne vorgegangen.  

Mit der heutigen Entscheidung nahm das Gericht keine inhaltliche Bewertung der diffamierenden Äußerungen vor. Das Verfahren wirft vielmehr die grundsätzliche Frage auf, welchen Anforderungen die Meldungen illegaler Inhalte bei einer Social-Media-Plattform genügen müssen, damit sie vor Gericht standhalten. Denn der Zivilsenat beurteilte lediglich, ob die 46 Meldungen, die Dr. Blume bei der Plattform getätigt hatte, formal ausreichend seien. Das sei nicht der Fall, befand das Oberlandesgericht Frankfurt am Main nun. Um die Plattform zur Entfernung der Kommentare zu verpflichten, hätte es weitere inhaltliche Begründungen gebraucht. Das Urteil bezieht sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.  

Die Brisanz: Die Meldungen waren im Herbst 2022 über das offizielle von X bereitgestellte Formular nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) erfolgt. Eine Möglichkeit, weitere Informationen z. B. über ein Freitextfeld mitzuteilen, sah das damalige Formular nicht vor. Darüber, dass eine solche Meldung allein nicht ausreichend sein könnte, klärte die Plattform an keiner Stelle auf. Nutzenden war es somit unmöglich, über das Formular Meldungen einzureichen, die eine Haftung seitens der Plattform zur Folge hätten.

Dr. Michael Blume war 2022 einer besonders persönlichen Verleumdungskampagne mit sehr intimen Vorwürfen gegen seine Person und über seine Ehe ausgesetzt. Nach Auffassung des Gerichts hätte er gegenüber der Plattform proaktiv erläutern müssen, warum diese nichtzutreffend und warum die Veröffentlichungen rechtswidrig seien. Nachdem die Plattform Blume mitgeteilt hatte, dass es die Meldungen geprüft habe und keinen Verstoß gegen deutsches Recht sehe, hätte er hierauf proaktiv noch einmal reagieren müssen, so das Gericht. 

Dazu Dr. Michael Blume, Beauftragter der baden-württembergischen Landesregierung gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben:  
„Für Betroffene von digitaler Gewalt und ihre Familien ist heute ein schlechter Tag. Einen wehrhaften Rechtsstaat, der konsequent gegen Hass und Hetze vorgeht, stelle ich mir anders vor. Wenn jede Person, die für ein öffentliches Amt kandidiert, mit solchen Verleumdungskampagnen rechnen muss, haben wir ein Demokratieproblem. Deshalb werde ich weiterhin gemeinsam mit HateAid für die Menschenwürde und den Rechtsschutz im Netz eintreten.“   

Das Oberlandesgericht sieht die Verantwortung für eine formal ausreichende Meldung bei den Betroffenen selbst: Wenn das von der Plattform zur Verfügung gestellte Meldeformular keine ausführlichen Angaben zulasse, könne es den Nutzenden abverlangt werden, diese per E-Mail oder über eine Datei im Anhang einzureichen. Das gelte selbst dann, wenn die Plattform die Meldung explizit ablehnt, dies als Prüfergebnis mitteilt und keine weiteren Informationen zur Beurteilung des Sachverhalts erfragt. Wenn Betroffene von digitaler Gewalt sichergehen wollen, dass ihre Meldung auch vor Gericht ausreichend ist, müssten sie diese mithilfe anwaltlicher Vertretung vornehmen. 

Josephine Ballon, Geschäftsführerin von HateAid zum heutigen Ausgang des Gerichtsverfahrens:  
„Dieses Urteil geht völlig an der Realität von Nutzenden sozialer Netzwerke vorbei. Von diesen wird nicht nur verlangt, dass sie selbst erkennen, wann eine Meldung illegaler Inhalte formal ausreicht. Sondern auch, dass sie im Zweifel auf per E-Mail versandte Textbausteine der Plattformen reagieren. X hat jahrelang den Eindruck erweckt, dass Betroffene digitaler Gewalt über das offizielle Meldeformular eine Löschung von Inhalten verlangen können. Nun berufen sie sich vor Gericht erfolgreich darauf, dass ihre eigenen Meldewege dafür nicht gemacht sind. Das ist an Absurdität kaum zu überbieten. Dass dies nun doch noch aufgedeckt wurde, ist dem Mut Michael Blumes zu verdanken und leistet einen wichtigen Beitrag zur Rechtsfortbildung.“   

Hintergrund des Verfahrens waren falsche Behauptungen, die Blume massiv beruflich und privat diffamierten. Obwohl er die fraglichen Kommentare über das offizielle Formular der Plattform gemeldet hatte, ließ X sie nahezu alle online stehen. Mehr als eine Woche nach der Meldung sperrte das Unternehmen gemäß internen Richtlinien den für die Verleumdungen hauptverantwortlichen Account, stellte diesen wieder her und sperrte ihn letztlich für mehrere Monate. Zwischenzeitlich wurde der Account außerhalb von Deutschland wiederhergestellt. Auch die Sperre hierzulande könnte X jederzeit wieder aufheben. Damit wären die Behauptungen in Deutschland wieder abrufbar. Gegen die von Dr. Michael Blume beantragte einstweilige Verfügung hatte sich das Unternehmen bis zuletzt verteidigt. Mit Unterstützung von HateAid hatte Blume im Dezember 2022 ein Urteil im einstweiligen Rechtsschutz erwirkt, das X zur Entfernung gleicher und sinngleicher Inhalte verpflichtet. Das Berufungsgericht kippte heute diese Entscheidung der ersten Instanz aus rein formellen Gründen. 

Das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit dem Aktenzeichen 16 U 195/22 ist rechtskräftig.

Die Rechtslage ist mit Einführung des Digital Services Acts, welcher eine Neugestaltung der Meldeformulare verlangte, inzwischen überholt. HateAid überprüft weiterhin kontinuierlich, ob diese den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Erst kürzlich hat die Organisation Beschwerde gegen TikTok bei der Bundesnetzagentur eingereicht.

HateAid gGmbH

Die gemeinnützige Organisation HateAid wurde 2018 gegründet und hat ihren Hauptsitz in Berlin. Sie setzt sich für Menschenrechte im digitalen Raum ein und engagiert sich auf gesellschaftlicher wie politischer Ebene gegen digitale Gewalt und ihre Folgen. HateAid unterstützt Betroffene von digitaler Gewalt konkret durch Beratung und Prozesskostenfinanzierung. Geschäftsführerinnen sind Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon. 

HateAid ist Trägerin der Theodor-Heuss-Medaille 2023.  

Pressekontakt: presse@hateaid.org, Tel. +49 (0)30 25208837

Pressematerial


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