HateAid gegen Meta und X: Berufungsverhandlungen gegen Social-Media-Giganten
Die beiden Social-Media-Plattformen mussten sich heute in zwei von HateAid finanzierten historischen Grundsatzprozessen vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main verantworten. In den Verfahren gehen die Unternehmen gegen wegweisende erstinstanzliche Urteile vor, die ihrem bisherigen Umgang mit illegalen Inhalten eine deutliche Absage erteilten. Sie erläuterten in den Verhandlungen jeweils, Nutzende nicht effektiv vor digitaler Gewalt schützen zu können. Für die Menschenrechtsorganisation HateAid ist das empörend.
Bei einem der verhandelten Verfahren geht es um die Klage von Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) gegen Meta. Hintergrund ist ein massenhaft auf der Plattform Facebook verbreitetes Meme mit einem Falschzitat, das der Politikerin zugeschrieben wird. Mit Unterstützung von HateAid streitet Renate Künast seit Jahren um die vollständige Löschung dieser verleumderischen Inhalte. Vor Gericht behauptete der Social-Media-Konzern heute, dass ihm dafür die technischen Voraussetzungen fehlten. In der Berufungsverhandlung wehrte sich Meta somit gegen eine historische Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main: Im April 2022 hatte dieses das Unternehmen zu einer Kehrtwende in der bisherigen Löschpraxis von illegalen Inhalten verpflichtet. Es müsse, so das Gericht damals, alle zum Zeitpunkt des Urteils auf der Plattform vorhandenen identischen sowie kerngleichen Postings proaktiv finden und löschen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main sendete in dieser Sache heute jedoch gemischte Signale. Sie stellten eine mögliche Vorlage beim Europäischen Gerichtshof in Aussicht und auch eine Revision zum Bundesgerichtshof scheint wahrscheinlich. Das Berufungsurteil wird im Januar erwartet.
Dazu Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), MdB:
„Dieses Verfahren zieht sich schon sehr lange hin, aber ich werde nicht lockerlassen. Andere Betroffene können sich einen so langen Rechtsstreit nicht leisten. Aber wenn wir das Grundsatzurteil verteidigen, dann können auch alle anderen sich darauf berufen. Meta erwirtschaftet enorme Summen mit Werbung und verdient sogar dann mit, wenn Hass und Falschinformationen im Netz angezeigt werden. Gleichzeitig ist der Konzern nicht bereit, genug in den Schutz vor digitaler Gewalt zu investieren. Der Konzern muss seiner Pflicht nachkommen und Facebook zu einer sicheren Plattform für mich und alle anderen machen. Offenbar kommt Meta dem aber nur nach, wenn ein Gericht es anordnet. Deshalb streiten wir weiter für dieses Grundsatzurteil. Für mich hat sich gezeigt, dass es sich lohnt, einen langen Atem zu haben.“
In der heutigen Berufungsverhandlung lehnte Meta erneut eine Verpflichtung ab, im Falle von rechtswidrigen Inhalten nicht nur diese, sondern auch identische und insbesondere kerngleiche Postings zu löschen. Der Konzern berief sich dabei auf vermeintlich mangelnde technische Voraussetzungen, um diese automatisiert aufzufinden. Das Oberlandesgericht schloss eine Vorlage dieser Frage vor dem Europäischen Gerichtshof nicht aus. In der ersten Instanz hatte das Landgericht Frankfurt am Main Meta zudem zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 10.000 Euro verpflichtet. Dem stand das Berufungsgericht heute sehr kritisch gegenüber: Die Persönlichkeitsrechtsverletzung sei hierfür nicht schwerwiegend genug und Künast habe zu lange mit der Rechtsdurchsetzung gewartet. Für HateAid ist das überraschend, denn Falschzitate von Politiker*innen gefährden deren Glaubwürdigkeit und damit ihr politisches Kapital.
Dazu Josephine Ballon, Geschäftsführerin von HateAid:
„Wir sehen die heutige Verhandlung mit gemischten Gefühlen. Für uns ist klar: Die Plattform ist in der Verantwortung, die von ihrem Geschäftsmodell ausgehenden Schäden für die Gesellschaft und die Demokratie einzudämmen. Meta behauptet einerseits, dass es die Memes nicht automatisiert auffinden könne und rühmt sich andererseits damit, dass 90 % der gelöschten Inhalte von KI gefunden werden. Das ist nicht plausibel – sondern ein doppelter Standard beim Schutz von Nutzenden.“
Im zweiten heute in Frankfurt verhandelten Berufungsverfahren geht es um die Klage einer deutschen Journalistin gegen X (ehemals Twitter). Monatelang hatte die Plattform gegen sie gerichtete massive und sexistische Beleidigungen online stehen lassen – trotz Meldung und anwaltlicher Aufforderung, die Inhalte zu entfernen. Mit Unterstützung von HateAid ging sie erfolgreich dagegen vor: Im Dezember 2021 verurteilte das Landgericht Frankfurt am Main X dazu, die Verbreitung der betreffenden Tweets zu unterlassen und 6.000 Euro Geldentschädigung an die Journalistin zu zahlen. Damit wurde erstmals eine Social-Media-Plattform finanziell für nicht gelöschte illegale Inhalte zur Verantwortung gezogen. In der heutigen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht gab es bereits erste positive Signale, dass es bei diesem Urteil bleiben könnte. Die Entscheidung wird im Januar erwartet. Das Gericht stellte auch hier die Zulassung der Revision in Aussicht.
Josephine Ballon, Geschäftsführerin von HateAid zu den beiden Verfahren:
„X hat in diesem Fall gezeigt, dass sie nicht in der Lage sind, Nutzende vor digitaler Gewalt zu schützen. Das ist leider kein Einzelfall, sondern die Regel: Wir erleben täglich, dass Betroffene angesichts des katastrophalen Umgangs der Plattformen mit Hass und Hetze resignieren und sich zurückziehen. Das Oberlandesgericht entscheidet nun darüber, welche Rechte sie gegenüber sozialen Netzwerken haben. Es geht um unsere digitale Zukunft.“
Fotos zu den Verhandlungen finden Sie hier.
HateAid gGmbH
Die gemeinnützige Organisation HateAid wurde 2018 gegründet und hat ihren Hauptsitz in Berlin. Sie setzt sich für Menschenrechte im digitalen Raum ein und engagiert sich auf gesellschaftlicher wie politischer Ebene gegen digitale Gewalt und ihre Folgen. HateAid unterstützt Betroffene von digitaler Gewalt konkret durch Beratung und Prozesskostenfinanzierung. Geschäftsführerinnen sind Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon.
HateAid ist Trägerin der Theodor-Heuss-Medaille 2023.
Im Rahmen des Landecker Digital Justice Movements finanziert HateAid Grundsatzprozesse gegen Online-Plattformen, um grundlegende Nutzer*innenrechte gerichtlich klären zu lassen.
Pressekontakt: presse@hateaid.org, Tel. +49 (0)30 25208837