Digital Services Act: EU könnte Millionen Betroffene von digitaler Gewalt im Stich lassen
Beratungsstelle HateAid kritisiert: Der Rat der EU verfehlt sein Ziel, Gerichte bleiben unzugänglich
Am Donnerstagmorgen wird der Rat der EU seine Stellungnahme zum Digital Services Act (DSA) abgeben. Mit dem neuen Internetgesetz hat die EU die historische Chance, Möglichkeiten zu schaffen, damit Nutzer*innen gegen Vergewaltigungsdrohungen, Beleidigungen, Hatespeech und andere Formen digitaler Gewalt effektiver vorgehen können. Doch der Rat bleibt in mehreren wichtigen Fragen hinter den Erwartungen zurück und riskiert damit, dass der DSA Millionen Betroffene von digitaler Gewalt im Stich lässt.
Betroffene werden allein gelassen: Gerichte und Online-Plattformen bleiben unzugänglich
Eine der größten Schwierigkeiten für Betroffene von digitaler Gewalt ist der Zugang zur Justiz: Da Kosten und Zeitaufwand hoch sind, schrecken die meisten vor dem Gang zum Gericht zurück. Obwohl es in anderen EU-Rechtsvorschriften, z. B. im Bereich des Urheberrechts, bereits leicht zugängliche Eilverfahren gibt, hat der Rat es versäumt, eine ähnliche Möglichkeit im Rahmen des DSA zu schaffen. Es wird zu Recht argumentiert, dass nicht die privatwirtschaftlichen Onlineplattformen entscheiden sollten, welche Inhalte illegal und welche von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Gleichzeitig können Nutzende hierfür nicht an Gerichte verwiesen werden, wenn diese nicht unter zumutbaren Bedingungen zugänglich sind.
Außerdem wurden durch den Rat der EU keine Erleichterungen für Nutzerinnen zur Kommunikation mit Online-Plattformen geschaffen. HateAid hatte die EU aufgefordert, sehr große Online-Plattformen zu verpflichten, Zustellungsbevollmächtigte für Nutzerinnen in jedem Mitgliedstaat einzurichten, um die Zustellung von Rechtsdokumenten in einer der Amtssprachen des jeweiligen Landes zu ermöglichen. Gegenwärtig müssen Betroffene Dokumente in die Sprache des Landes übersetzen, in dem die Online-Plattform ihren europäischen Hauptsitz hat. Im Falle von Facebook ist das Irland, im Falle von Pornhub führt das Impressum nach Zypern.
Dazu Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin von HateAid:
„Der Rat der EU lässt Millionen von Nutzer*innen und Betroffene digitaler Gewalt im Stich. Grundlegende Instrumente zur Durchsetzung der Rechte Betroffener sind nicht zugänglich. Dies trifft vor allem Frauen, da sie eine der am meisten gefährdeten Gruppen im Internet sind. Heute, am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, lässt der Rat sie weitgehend hilflos und schutzlos zurück. Der Digital Services Act könnte dazu beitragen, dass Betroffene eine echte Chance haben, gegen Hass- und Verleumdungskampagnen, Doxing und sog. Revenge Porn vorzugehen. Diese Formen der Gewalt werden immer häufiger. Das Europäische Parlament muss jetzt noch weiter gehen und den Zugang zur Justiz verwirklichen.“
Die Situation im Internet ist beängstigend, wie die von HateAid Anfang des Monats veröffentlichten Umfrageergebnisse zeigen. 91 Prozent der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 35 Jahren haben schon mehrmals Hass und Hetze im Internet gesehen, und jede*r zweite junge Erwachsene war selbst schon von digitaler Gewalt betroffen. 30 Prozent der Frauen in der EU haben Angst, dass Nacktbilder ohne ihre Zustimmung online veröffentlicht werden könnten.
Einführung von Beschwerden über alle inhaltlichen Entscheidungen
HateAid bewertet positiv, dass die Mitgliedstaaten die internen Widerspruchsmöglichkeiten für Betroffene verbessert und die Durchsetzung gestärkt haben. Wesentliche Verbesserung für die Nutzenden ist: Nutzende haben nun die Möglichkeit, sich über alle Entscheidungen über gemeldete Inhalte bei der Plattform zu beschweren – sowohl dann, wenn ein Inhalt entfernt wird, als auch dann, wenn die Plattform auf eine Meldung von Inhalten hin nicht tätig wird. Wir erleben häufig, dass selbst offensichtlich rechtswidrige Inhalte auf eine Meldung hin nicht gelöscht werden. Wir halten es daher für hilfreich, wenn Betroffene in jedem Fall eine Überprüfung der Entscheidung herbeiführen können.
Während das Europäische Parlament unter der Leitung von MdEP Christel Schaldemose (S&D) noch über seine Position verhandelt, können Nutzende weiterhin für Ihre Rechte eintreten und Einfluss nehmen. Nachdem beide Institutionen – Europäisches Parlament und der Rat der EU – ihre Positionen beschlossen haben, werden sie in den Trilog mit der EU-Kommission eintreten. HateAid wird die EU an ihre Verantwortung für den Schutz vor digitaler Gewalt erinnern und zum Start des Trilogs die europaweite Petition an die EU überreichen. Bereits mehr als 28.000 Europäer*innen fordern darin mehr Schutz vor digitaler Gewalt im Internet.
Pressekontakt: presse@hateaid.org, Tel. 030 / 252 088 37