Incels – unterschätzte Gefahr aus der dunklen Ecke des Netzes
Triggerwarnung: In diesem Beitrag werden tödliche Attentate, (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen sowie Suizid thematisiert.
In Online-Communities und speziellen Foren versammeln sich Incels: Männer, die angeben, „unfreiwillig zölibatär“ zu leben. Sie sind frustriert und hassen sich selbst. Aber noch mehr hassen sie Frauen.
Der Begriff „Incels“ setzt sich zusammen aus den englischen Wörtern „involuntary“ und „celibates“. Menschen, die sich so nennen, gelingt es laut eigener Aussage nicht, mit Frauen Sex zu haben oder Beziehungen zu führen, da sie nicht attraktiv genug oder aus ihrer Sicht anderweitig von der Natur benachteiligt sind. Sie glauben aber, ein natürliches Anrecht auf Sex zu haben und fühlen sich durch Frauen dieses Rechtes beraubt. Das macht sie wütend – und gefährlich.
In einschlägigen Foren tauschen sich die Männer über ihren Frust aus und treffen dort auf Gleichgesinnte. Was eine sinnvolle Form von Dialog und Selbsthilfe für Außenseiter sein könnte, ist hier aber geprägt von gegenseitiger Abwertung, Demütigung und Aufrufen zum Suizid. In der empfundenen „Wertlosigkeit“ werden die Männer in diesen Foren nur bestätigt.
Nur die gemeinsamen Feinde schweißen die Incel-Community zusammen: Attraktive, sexuell aktive „Alpha“-Männer (stereotyp als „Chad“ bezeichnet) und die Frauen selbst („Stacy“), die laut Incel-Verständnis ausschließlich von bestimmten körperlichen Merkmalen und einem maskulinen Auftreten angezogen werden. Frauen werden auch für das Unglück und die Einsamkeit von Incels verantwortlich gemacht und müssen dieser Logik zufolge auch bestraft werden.
„Wenn ich euch nicht haben kann, zerstöre ich euch“
In den vergangenen Jahren gab es in den USA mehrere Attentate mit starkem Bezug zur Incel-Community.
Im Mai 2014 tötete der 22-jährige Elliot Rodger auf einem Campus in Kalifornien 6 Menschen und verletzte 14 weitere. Seine Motive waren sein Außenseitertum, seine Unfähigkeit, Freundschaften einzugehen sowie die sexuelle Ablehnung von Frauen. In verstörenden YouTube-Videos kündigte er seine Tat an und erläuterte sein verzerrtes Gesellschaftsbild. In einer Videobotschaft, die er kurz vor der Tat veröffentlichte, wandte er sich spezifisch an Frauen: „If I can’t have you, girls, I will destroy you“ („Wenn ich euch Mädchen nicht haben kann, werde ich euch zerstören“).
Ein Amokläufer wird zum Star
Durch seine Tat und die Videos hat der Attentäter in Incel-Kreisen bis heute einen Kultstatus erlangt und seine Morde werden als heldenhaft gefeiert. „To go ER“ („ER begehen“; ER sind Rodgers Initialen) ist als geflügeltes Wort in der Incel-Community weit verbreitet und mörderische Attentate werden als die größtmögliche Errungenschaft eines Incels zelebriert.
Drei Jahre später hat sich der Kanadier Alek Minassian von „ER“ inspirieren lassen. Er raste in Toronto mit einem Van in eine Menschenmenge und tötete 11 Personen. Kurz vor dem Anschlag postete er bei Facebook, dass die „Incel-Rebellion begonnen habe“.
Auch in Deutschland findet der Frauenhass der Incels Sympathisanten: Der rechtsradikale Stephan B., der 2019 in Halle einen Anschlag auf eine Synagoge plante und 2 Menschen tötete, verkündete in seinem Tatvideo eine Nähe zur Incel-Subkultur. Ebenso ließ er während des Attentates einen Rap-Song laufen, der den Kanadier Alek Minassian als Held feiert.
Männlicher Hass auf die Gesellschaft und insbesondere auf Frauen brodelt lange im Netz, bevor er sich offline Bahn brechen kann.
Doch was passiert online eigentlich genau?
Radikalisierung durch Verharmlosung von Gewalt
Die sogenannte Manosphere im Netz bezeichnet ein loses Netzwerk von Websites, Foren und Blogs, die durch ihren Antifeminismus verbunden sind. Sie werden Untersuchungen zufolge in ihrer Sprache immer gewaltvoller und radikaler. Hier tummeln sich Pick-up-Artists, Männerrechtler sowie Incels und bestätigen sich gegenseitig in ihrer Opferrolle und ihrem Hass. Incels gelten auch innerhalb dieses Netzwerkes als die Abgehängten, da sie beispielsweise oft an den von Pick-up-Artists angebotenen „Verführungstricks“ scheitern. In ihren Foren beklagen sie lautstark ihr Leben, das sie als wertlos und schmerzhaft empfinden. Auch sind die Gewaltfantasien von Incels die drastischsten. Da sie für sich im Leben keinen Ausweg sehen, erscheinen ihnen radikale Mittel, wie ein Amoklauf mit Suizid, als Erlösung.
Buchtipps zu Incels und toxischer Männlichkeit
- Susanne Kaiser: Politische Männlichkeit: Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen, edition suhrkamp 2021
- Veronika Kracher: Incels Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults, ventil verlag 2020
Online sind wir viele und offline tragen wir Waffen
Die digitale Gewalt, die von dieser Subkultur ausgeht, möchte zunächst eher unter sich bleiben und ist oft nicht an die Betroffenen direkt gerichtet. Mit Frauen sprechen Incels ohnehin nur ungern: In den Foren gilt das Motto „Tits or GTFO (get the fuck out)“ („Zeig deine Brüste oder verpiss dich“) und Frauen werden sofort aus dem Forum verbannt, wenn sie sich als solche zu erkennen geben.
Wenn Betroffene direkt von Incels angegriffen werden, dann kommen diese meist als Mob. In gezielt organisierten Shitstorm-Attacken werden etwa Kommentarspalten geflutet und die betroffene Person stark sexualisiert beleidigt und mit Morddrohungen bombardiert. Incels fühlen sich online also nur als (anonyme) Gruppe mächtig. Auf der Straße wird diese Macht dann durch Bewaffnung und körperliche Gewalt hergestellt.
Welche Incel-Fälle wir bei HateAid sehen
Uns erreichen immer wieder Fälle mit Incel-Bezug. Oft sind die thematischen Grenzen schwammig und es gibt zum Beispiel Überschneidungen zu Rassismus und Homophobie. Wir bearbeiten einige Fälle von bildbasierter digitaler Gewalt, wo etwa Fotos aus Instagram in Incel-Foren auftauchen und dort zur „Belustigung“ und Verbreitung von Vergewaltigungsfantasien dienen. Hier handelt es sich meist nicht um erotische Aufnahmen, sondern um alltägliche Fotos, etwa von einer Geburtstagsparty.
Organisierte Exposer- und Incel-Netzwerke veröffentlichen aber auch gezielt Nacktaufnahmen auf Pornoplattformen, um Frauen strategisch anzugreifen, zu schädigen und aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen.
„I want to kill happy couples in my neighbourhood“
Auch werden uns Fälle aus Incel-Foren gemeldet, die keine konkreten Betroffenen adressieren, aber inhaltlich so problematisch sind, dass wir sie an die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internet- und Computerkriminalität (ZIT) in Hessen weiterleiten. Dies sind zum Beispiel konkrete Mord- oder Anschlagspläne, die mit Ort und Zeit versehen sind.
Heterosexuelle Cis-Frauen sind das größte, aber nicht das einzige Feindbild von Incels. Ihre Ideologie der hegemonialen Männlichkeit wird durch alle Menschen gestört, die traditionelle Geschlechterrollen und -ordnungen infrage stellen. So hassen Incels schwule Männer ebenso wie trans Personen. Wir sehen auch häufig Fälle von homo- und transphoben Beleidigungen.
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Incels bewegen sich am Rand, sind aber keine Ausnahme
Phänomene wie Incels stellen die gewaltvolle Spitze einer sexistischen Gesellschaftsordnung dar. Sie sind keine davon losgelösten Ausnahmen. Eine Kultur, in der Frauen systematisch abgewertet und entmenschlicht werden, produziert in der Konsequenz solche Phänomene. Incels, ihre digitale Gewalt und ihre Morde sind also ein trauriger Höhepunkt von toxischer Männlichkeit.
Nicht zu vernachlässigen ist, dass viele Incels selbst People of Color sind (obwohl es eine wirkmächtige Schnittmenge von Frauenhass und weißer Vorherrschaft gibt), die von Rassismus betroffen sind und ihren Frust über die erlebte Diskriminierung auf Frauen projizieren. So reichen sich Patriarchat und Rassismus die Hand.
Gut zu wissen: Das sind Femcels
Ein ähnliches Phänomen lässt sich auch bei Frauengruppen erkennen: Unfreiwillig enthaltsame Frauen, die sich über gemeinsame Feindbilder digital vernetzen. Sie werden Femcels genannt. Ihr Hass richtet sich sowohl gegen Männer als auch gegen Frauen. Femcels hassen vor allem drei Gruppen:
- Männer, die Frauen als Sexualobjekte wahrnehmen: „Moids“
- Konventionell attraktive Frauen: „Stacys“
- „Durchschnittlich” aussehende Frauen, die trotzdem einen Partner haben: „Beckys“
Genau wie Incels vernetzen sich auch Femcels in digitalen Foren und verbreiten von dort ihren Hass gegen andere Menschen. Femcels reproduzieren sexistische und frauenfeindliche Stereotype, die es auch in der Incel-Bewegung gibt. Gleichzeitig sind sie aber auch gegen Männer, die Frauen objektifizieren. Die Medienethikerin Claudia Paganini erklärt, dass viele Femcels (sexuelle) Gewalt oder Mobbing von Männern erfahren haben. Viele haben (deswegen) ein schlechtes Selbstbild, verletzen sich selbst und fühlen sich ausgegrenzt. Expert*innen sprechen von einem ausgeprägtem Selbsthass. In den Foren finden Femcels Anschluss und Gleichgesinnte. Wenn es um die Sexualisierung von Frauen geht, sind Femcels häufig sehr feministisch. Bei ihnen geht das aber oft mit einem generellen Männerhass und der Herabwürdigung bestimmter Frauen, bspw. die, die Männer daten, einher. Das ist nicht feministisch, sondern gefährlich. Denn in der Femcel-Community herrscht, so die Medienethikerin, eine toxische und radikalisierende Atmosphäre, die Angst und Hass schürt. Trotzdem gibt es, anders als in der Incel-Bewegung, noch keine bekannten analogen Gewaltfälle.
Bekannte gesellschaftliche Probleme sind komplex und eng verzahnt. Und wie so oft beobachtet, scheint Hass im Netz hier das Schmiermittel zu sein. Deshalb ist es umso wichtiger, diesem gezielt zu begegnen. Dafür kämpfen wir täglich.
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Titelbild: Scopio