Intersektionale Diskriminierung im Netz: Im Interview mit Bijan Kaffenberger
2018 zog Bijan Kaffenberger mit 29 Jahren als damals jüngster SPD-Abgeordneter in den Hessischen Landtag ein. Der Politiker hat seit Kindesalter an Tourette. Er ist für sein offenes und humorvolles Wesen bekannt – und gibt seit Jahren Einblicke in seinen Umgang mit dem Syndrom. Nicht immer begegnen ihm User*innen im Netz positiv. Im Interview erzählt er von seinen Erfahrungen mit intersektionaler Diskriminierung und den Hassnachrichten, in denen er sowohl als Mensch mit Behinderung als auch als Politiker mit Migrationshintergrund regelmäßig angegriffen wird.
Du bist seit Jahren in zahlreichen Online- und TV-Sendungen zu sehen und thematisierst dort auch deinen Alltag als Politiker mit Tourette. Wie hat es sich für dich am Anfang angefühlt, in der Öffentlichkeit über deine Tics zu sprechen?
Bijan: Ursprünglich war das mit den Online-Formaten gar nicht meine Idee. Ich wurde damals von einer Bekannten angesprochen. Sie hat das Hyperbole-Format Frag ein Klischee gemacht. Die Redaktion suchte nach Menschen, die offen über Vorurteile gegenüber der eigenen Gruppe sprechen wollten. Sie sagte zu mir: ‚Du hast doch viel Humor und kannst einiges erzählen. Hast du nicht Lust, dich vor eine Kamera zu stellen?’ So bin ich damals einfach ins kalte Wasser gesprungen und habe von meinen Erfahrungen mit Tourette berichtet. Die Klickzahlen haben schnell gezeigt, dass die Leute mögen, was ich mache. Ich kannte es natürlich schon aus meinem Alltag, dass ich Leuten Tourette erkläre. Das offene Format Frag ein Klischee hat die Antworten dann auch für eine breite Zielgruppe verfügbar gemacht. Die Zuschauer*innen konnten einfach das fragen, was ihnen in den Sinn kam, ohne die Scheu, etwas Falsches zu sagen.
Welche Rolle spielt das Internet für dich und dein politisches Engagement?
Bijan: Ich bin mit Social Media großgeworden und gehöre einer Generation an, die zwar die Zeit ohne Internet noch kennt, aber auch mittendrin war, als die ersten Smartphones rauskamen. Ich habe dem Internet gerade mit Blick auf meine Bekanntheit viel zu verdanken. Es ist für mich bei der politischen Arbeit ein unverzichtbares Werkzeug, um Menschen zu erreichen und ihnen zu zeigen, wofür ich mich einsetze. Aber auch, um erreicht zu werden. Ich sehe es als einen Rückkanal und finde es wichtig, dort im Kontakt mit Menschen zu sein.
Deine Nachrichten und Kommentare beantwortest du alle selbst? Kein Team dahinter, das sich um das Management deiner Social-Profile kümmert?
Bijan: Genau.Ich glaube, dass das so am besten funktioniert. Das ist die große Stärke von Social Media. Ich möchte als Politiker ein niederschwelliges Angebot machen, damit mich Bürger*innen leicht erreichen können und ich ihre Anregungen direkt mitnehmen kann.
Welche Erfahrungen mit negativen Nachrichten und Kommentaren hast du schon gemacht?
Bijan: Natürlich gibt es Licht und Schatten bei Social Media. Ich bekomme dort viel positives Feedback, aber je nach Thema auch ganz andere Nachrichten. Gerade in Bezug auf große Problem-Themen, etwa 2015 zur Zuwanderung oder in den letzten Jahren zur Corona-Pandemie, erhalte ich vermehrt Hasskommentare oder -nachrichten. Auch die Energiepreise sind derzeit ein schwieriges Thema. Auf solche Aufreger-Themen kommt auch viel Negatives zurück. Und dann gibt es eben den Teil, der sich der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zuordnen lassen kann. In diesen Fällen greifen mich User*innen gezielt mit Bezug auf meine Behinderung oder meinen Migrationshintergrund an, der sich für Leute, die mich gar nicht kennen, vor allem durch meinen Vornamen erahnen lässt.
Welche Reaktionen im Netz hast du wahrgenommen, als du 2019 mit einem Direktmandat in den hessischen Landtag eingezogen bist?
Bijan: Es gab wirklich sehr viel Lob und Freude darüber. Aber gleichzeitig gab es natürlich auch Kommentare, die ich hier ungern reproduzieren möchte. Im Kern schrieben viele User*innen, dass ich nicht in ein Parlament gehöre, sondern wo ganz anders hin. Ich denke, dadurch lässt sich erahnen, in welche Richtung zahlreiche der negativen Kommentare von damals gingen.
Und es macht einfach einen Unterschied, ob ich Videos zu politischen Themen mache oder für das Format TOURETTIKETTE vor die Kamera trete. Der Hate hat schon etwas mit Politik zu tun. Die Bubble, die sich meine TOURETTIKETTE-Videos anschaut, ist viel offener, interessiert sich für Themen wie Diversität, Vielfalt in der Gesellschaft und Inklusion. Unter diesen Videos werde ich bei YouTube viel weniger angegriffen. Bei Politik sieht das alles schon ganz anders aus. Da wird man schnell zur Zielscheibe der Bubble, die etwas gegen die eigene Politik hat und sich möglicherweise auch an meiner Behinderung oder meinem Migrationshintergrund stört.
Woher kommt dieser Hass?
Bijan: Ich sehe hier zwei Faktoren: Es kann zum einen viel mit einer gewissen Unzufriedenheit zu tun haben, wenn eine Einzelperson Hassnachrichten schreibt. Zum anderen beobachten wir alle eben auch, dass Hass allgemein in unserer Gesellschaft zunimmt. Und es leider viele Menschen gibt, die sich mit Blick auf bestimmte Bereiche einen Rollback wünschen und das offen auf Social Media kundtun.
Wie gehst du mit Hassnachrichten um?
Bijan: Ich bekomme zum Glück nicht jeden Tag negative Nachrichten und Kommentare. Es gibt andere, die es leider härter trifft. Ich versuche, Hassnachrichten direkt zu melden, oder übergebe sie an den Staatschutz, wenn es nötig ist. Einige sind wirklich hart an der Grenze. Ich bin ja immer noch ein sehr positiver Mensch und versuche, so oft es geht, solchen Nachrichten mit Humor und einem Augenzwinkern zu begegnen. Aber manchmal geht das nicht oder es fehlt mir einfach die Zeit dafür, mich damit auseinanderzusetzen. Ich würde auch gerne mehr für Betroffene tun, denn natürlich bekomme ich viele Privatnachrichten, in denen mich andere darauf aufmerksam machen, dass bestimmte Kanäle oder Profile gerade mit Hass geflutet werden. Manchmal kann ich hier unterstützen, aber es gelingt mir nicht immer.
Als digitalpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion setzt du dich unter anderem für eine zukunftsfähige digitale Infrastruktur ein, sprich: schnelleres Internet überall in Deutschland. Hast du aber auch Ableismus auf der Agenda?
Bijan: Mit der Meldeplattform Hessen gegen Hetze möchten wir Bürger*innen, die von Hass & Hetze betroffen sind, die Möglichkeit bieten, Hatespeech schnell und erfolgreich zu melden. Das geht online, per Mail oder Telefon. Aber in Deutschland sehe ich auch einen großen Zwiespalt, mit dem wir uns beschäftigen müssen. Nämlich: Wie viel Verantwortung müssen die Plattform-Betreibenden übernehmen und wie viel der Staat selbst? Derzeit haben wir in Deutschland ein massives Kapazitätsproblem, was Hatespeech angeht. Auf der Meldeplattform von Hessen gegen Hetze laufen im Jahr manchmal 1000, manchmal sogar 2.000 Meldungen ein. Leider kam es dann am Ende des Tages zu lediglich 30 bis 40 Verurteilungen im Jahr. Gemessen an der Anzahl der Kommentare, die nach Prüfung strafrechtlich relevant waren, ist das eine verschwindend geringe Anzahl. Was nicht heißen soll, dass die bisherigen Bemühungen umsonst waren oder sind.
Aber wir müssen mehr Menschen dazu bringen, Hass im Netz zu melden und die Angebote, die es zum Thema gibt, bekannter machen. Ich setze mich dafür ein, dass das Vertrauen der Menschen in diese Systeme gestärkt und Online-Hass besser verfolgt wird. Deshalb unterstütze ich es auch, dass mehr zu neuen Technologien geforscht wird, mit denen Hassrede erkannt werden kann. An der Hochschule Darmstadt wird viel zu Algorithmen geforscht, die Hass erkennen und Menschen gerade beim Scannen von solchen Nachrichten in Zukunft viel Arbeit abnehmen können. Anders ist das nicht zu bewältigen.
Was können wir alle gegen Hass im Netz tun?
Bijan: Hass im Netz kann je nach psychischer Verfassung sehr schnell zu einer ernsthaften Belastung werden. Ich finde, damit Betroffene gut geschützt werden, braucht es eine gute Netz-Community, die andere tatkräftig unterstützt, wenn Hass verbreitet wird. Quasi eine Anti-Troll-Armee, Freund*innen, Organisationen und Verbündete, die kommentieren und dem Hass etwas entgegenhalten. Und natürlich braucht es noch mehr Angebote, die leicht zugänglich für Betroffene sind und ihnen die wichtigsten Informationen dazu, wie sie sich wehren, barrierearm zur Verfügung stellen.
Titelbild: Angelika Stehle