Erfahrungsbericht: Autismus im Internet
Ein Gastbeitrag von Katharina Schön, “Autismus-ADHS Trainerin & Coachin für Erwachsene” – auf Social Media bekannt unter dem Namen Guardian of Mind.
Autistische Menschen vernetzen sich online, klären auf Social Media über Neurodivergenz auf und empowern sich gegenseitig. Aber sie erleben auch Hass. Creatorin Katharina Schön erzählt, was sie online erlebt.
Mit Anfang 30 wurde bei mir ADHS-Autismus-Kombi, auch AuDHS genannt, diagnostiziert. Damit hat sich der unbändige Wunsch entwickelt, über Neurodiversität1 aufzuklären. Ich funktioniere tatsächlich anders als die Mehrheit der Bevölkerung, und möchte allen, die so „ticken“ wie ich oder die das verstehen wollen, davon erzählen. Das tue ich unter anderem über meine Social-Media-Kanäle.
Ich kläre dort über Spätdiagnosen in Bezug auf ADHS und Autismus auf und welche Rolle dabei das Konzept der „Hochsensibilität“ spielt. Ich möchte andere dabei unterstützen, die richtigen Antworten zu finden. Besonders, wenn sie bereits viele Jahre unter Angststörung oder rezidivierender, also sich wiederholender, Depression leiden, weil ich persönlich weiß, wie schlimm das ist.
April ist Autism Awareness Month
Der April ist Autism Awareness Month. Aufklärung über Neurodivergenz passiert bei mir allerdings das ganze Jahr. Autismus ist immer noch etwas, was die meisten nicht verstehen oder nur aufgrund von Mythen und stereotypischen Darstellungen in Film und Fernsehen kennen. Ich möchte über Autismus informieren und speziell aufzeigen, wie sich dieser bei Frauen zeigt. Dafür reicht nicht nur ein Monat.
Autismus im Internet: Chancen und Schattenseiten
Viele autistische Menschen haben durch das Internet die Möglichkeit, sich mit anderen zu vernetzen und auszutauschen, was ein riesiger Gewinn für die ganze Community ist. Sie fassen durch das Vorbild von autistischen Aufklärer*innen Mut und Zuversicht, sich zu zeigen. Die digitale Aufklärung hilft, sich nicht mehr verstecken zu müssen.
Sie hilft vor allem auch dabei, autistische Merkmale nicht mehr maskieren zu müssen. Maskieren oder Masking (engl.) bedeutet in der Psychologie das (un)bewusste Unterdrücken von autistischen Verhaltensweisen, sowie das allumfassende Anpassen von Mimik, Körpersprache, Kommunikation und äußerem Erscheinungsbild an „neurotypische” Standards. Viele tun dies, um einem gesellschaftlichen Idealbild zu entsprechen. Auch ich tue das noch regelmäßig.
Denn das Internet birgt auch Gefahren. Emotional unregulierte Menschen lassen ihren Frust an Menschen wie uns aus, obwohl wir lediglich unsere Lebensrealität authentisch darstellen. Das bedeutet, dass autistische Creator:innen von Beleidigungen bis hin zu Gewaltandrohungen viel ertragen müssen.
Ich bekomme allerdings selten Hasskommentare. Ich überlege ganz genau, was ich poste, um mich selbst zu schützen. In meinen Profilbeschreibungen steht außerdem, wer ich bin und was ich mache (“AuDHS Trainerin & Coachin für Erwachsene”).
Möglicherweise sehen mich dadurch manche als Autorität und verzichten auf Hasskommentare. Vergleiche ich das mit anderen Creator*innen, die privat und aus ihrem eigenen Erleben über ADHS und Autismus aufklären, sehe ich häufig mehr Beleidigungen, Invalidierung oder Hasskommentare.
Hass erfahren: Was tun?
Wenn ich doch digitale Gewalt erfahre, blockiere ich die Hater*innen. Meistens wollen diese Menschen nur ihren Frust oder ihre undifferenzierte Meinung abladen. Das hat nichts mit konstruktiver Kritik zu tun. Ich kann mich so schützen und habe die Kapazität, edukative Inhalte zu erstellen. Ansonsten würde es mich so sehr mitnehmen, dass meine Angststörung wieder schlimmer werden würde und das Risiko einer Depression steigt. Diskussionen, die ins Nichts laufen, sind es das nicht wert.
In den seltenen Fällen, in denen mir Kommentare näher gehen, wende ich mich an meine wundervolle Community oder mache sie sichtbar.
Wenn du digitale Gewalt erlebst oder sie mitbekommst, wende dich jederzeit an unsere Berater*innen.
Ich bin mit vielen User*innen über die Kommentarspalten oder Nachrichten auf TikTok, Instagram, Facebook und E-Mail in engem Kontakt. Viele bauen mich dann auf und schreiben mir liebe Nachrichten, die mir Kraft geben. Dieser Austausch macht Hoffnung und zeigt, wie viele gute Seiten das Internet hat.
Gemeinsam das Netz gerecht machen!
Vernetzung und Kommunikation ist alles. Mittlerweile gibt es immer mehr Menschen, die über ihre spezifische Lebensrealität berichten. Diese Vielfältigkeit ist wichtig, da das Spektrum der Neurodivergenz breit ist. Es ist genauso vielfältig ausgeprägt, wie die Persönlichkeit eines Menschen. Mehr neurodivergente Menschen sollten sich zeigen, denn auch ich bilde nur eine Facette ab, als Mitte 30-jährige Frau, mit der ADHS-Autismus-Kombi, hoch-maskierend, verheiratet, kinderlos, studiert und aus der Mittelschicht mit niedrigem Unterstützungsbedarf und gutem Support System.
Folgt diesen Creator*innen. Gemeinsam können wir das Netz zu einem Ort des Lernens, des Austauschs und der Solidarität machen.
- Neurodivergenz bezieht sich darauf, dass bei manchen Menschen bestimmte Gehirnfunktionen anders funktionieren als bei „neurotypischen” Gehirnen. Das ist an einem sozialen Normalitätsstandard gemessen. Diese Sicht auf eine scheinbare Normalität wird häufig kritisiert. ↩︎