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Bild von einer Person vor einem Laptop mit spirituellen Gegenständen um sich rum.

Esoterik trifft Verschwörung: Die Gefahren von Conspirituality 

Krebs lässt sich mit Backpulver heilen. Edelsteine kurieren Depressionen. Sonnenbrände sind natürliche Lichtnahrung. Hierbei handelt es sich um drei krude Thesen aus dem esoterischen Wellness-Bereich, die auf TikTok Tausende Likes kassieren. Dahinter stecken sogenannte Holistic Life Coaches, Energy Guides und Mental Healers – also Coaches, die meist ohne formale Qualifikationen arbeiten. 
 
Manchmal erwachsen aus harmlos anmutenden Wellness-Sprüchen auf TikTok und Instagram handfeste Verschwörungszählungen. Das nennt man dann Conspirituality, also eine Mischung aus Spiritualität und Verschwörungsdenken.  

Esoterik als Türöffner für Verschwörungsideologien

Neben harmlosen Rezeptvideos nährt diese Influencerin also Verschwörungsmythen. Eine vermeintlich „neue Weltordnung” etwa, wie sie sie in ihren Hashtags heraufbeschwört, ist ein häufig von der rechtsextremen Szene genutzter Code1, der antisemitisches Denken nahelegt. Denn meist bezieht er sich auf eine vermeintliche jüdische Elite, die den angeblich geheimen Plan verfolgt, eine autoritäre Weltregierung zu installieren. 

Der Begriff wurde in der Studie „The Emergence of Conspirituality“ geprägt, die von den Soziolog*innen Charlotte Ward und Prof. David Voas 2011 veröffentlicht wurde. 
Ihm werden zwei Grundannahmen zugeschrieben: 
 
1. Der Glaube an eine geheime Elite, die im Verborgenen die sozial-politische Ordnung kontrolliert und  
2. der Glaube, dass die Menschheit einen Paradigmenwechsel durch eine vermeintlich bevorstehende spirituelle „Bewusstseinserweiterung” erfährt. 
 
Das ist gefährlich. Nicht alle spirituellen Influencer*innen vertreten automatisch rechte oder demokratiefeindliche Positionen. Einige jedoch greifen gedankliche Muster auf, die Verschwörungsmythen begünstigen können – und in manchen Fällen auch antisemitische Narrative fördern.  

Eine Amerika-Flagge mit einer Hand dvor, die ein Q in der Hand hält.
Verschwörungserzählungen spiritueller Influencer*innen haben manchmal eine erschreckende Ähnlichkeit mit den politischen Kampfansagen der Verschwörungsgruppe QAnon. Foto: Shutterstock / Westock Productions

Antisemitische Stereotype neu verpackt

Die Stereotype, mit denen im Verschwörungsdenken die vermeintlich bösartigen Strippenzieher beschrieben werden, decken sich mit denen, die seit Jahrhunderten Juden*Jüdinnen zugeschrieben werden: etwa das Bild einer manipulativen und übermächtigen Gruppe mit Einfluss auf Wirtschaft, Politik und Kultur. 
 
Heißt: Um Antisemitismus zu verbreiten, muss man nicht offen gegen Jüdinnen und Juden hetzen. Vieles funktioniert über Codes, mit denen jüdische Menschen nicht direkt angesprochen werden, aber gemeint sind – wie etwa in der Behauptung, es gebe ein weltumspannendes Pharma-System, das uns „wahre” Heilmittel vorenthält und uns vorsätzlich mit Impfstoffen vergiftet.

Viele der spirituellen Wellness-Influencer*innen auf TikTok nutzen einige dieser gedanklichen Grundmuster2. Dazu gehört magisches Denken: „Nichts ist, wie es scheint”, „Dankbarkeitsrituale ziehen Glück in dein Leben” und „Du kannst alles bekommen, wenn du es visualisierst”.  

Es sind genau diese Behauptungen, die Türen zu einem Dschungel aus Verschwörungsideologien öffnen können – etwa dann, wenn die Existenz von Zufall geleugnet wird und an seine Stelle vermeintliche düstere Eliten und Strippenzieher treten. Ein britischer Guardian-Journalist taufte diese Verbindung einst „Pipeline von Wellness zu Faschismus”.

Offizielle Institutionen als Feindbild

Das, was rechte Verschwörungsideolog*innen mit der Wellness-Community verbindet, ist außerdem häufig ein großes Misstrauen gegenüber Institutionen – also etwa wissenschaftlichen Instituten. Das bestätigen auch die Forschungsergebnisse der britischen Soziologin Stephanie Baker.  

Sie hat über ein Jahr hinweg vier unterschiedliche Wellness-Influencer*innen analysiert. Deren Content drehte sich meist um Reinigungskuren, Entgiftungen und die tägliche Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln — auf den ersten Blick also um Lifestyle-Tipps, die auf vielen Plattformen mittlerweile gang und gäbe sind.  

Doch sie fand auch heraus, dass die Erzählungen der Influencer*innen eine erschreckende Ähnlichkeit mit den politischen Kampfansagen der rechtsextremen Verschwörungsgruppe QAnon besaßen. Die Accounts selbst teilten nicht unbedingt die rechtsextreme Ideologie der Sekte. Das, was sie verband, war das Misstrauen gegenüber institutionellen Autoritäten – also etwa der Pharma- und Impfstoffindustrie.

Person hält ein Handy in der Hand. Auf dem Bildschirm steht: Why big Pharma is lying to you. If you see this, this is a sign from the universe.
Misstrauen in Fakten und offizielle Institutionen verbindet in vielen Fällen die spirituellen Influencer*innen mit Verschwörungserzählungen rechtsextremer und menschenfeindlicher Gruppen. Foto: Shutterstock / Lightfield Studios

Der Algorithmus als höhere Macht 

Hinzukommt ein Phänomen, das sich Algorithmic Conspirituality nennt. Wer schon mal durch TikTok gescrollt ist, kennt bedeutungsschwangere Botschaften wie „Out of millions of posts, I know this particular post will reach you” oder „If you see this, the universe is aligning for you.” In den Kommentaren: „Wow, you are speaking directly to me. Thank you so much.” 
 
Kelley Cotter, Promovierende im Fach Informatik an einer US-Universität, sagt: „Algorithmic Conspirituality verbindet durch Algorithmen gesteuerte Inhalte mit mystischen Überlegungen. Dabei greift Algorithmic Conspirituality auf spirituelle Ideen zurück, die unter jungen Menschen auf TikTok weit verbreitet sind.” Die For You Page von TikTok erzeuge durch ihre Empfehlungen bei vielen User*innen ein Gefühl von „zur richtigen Zeit am richtigen Ort”.  

Damit wirkten auch generische Inhalte so, als wären sie gezielt auf User*innen zugeschnitten. Das führe wiederum dazu, dass User*innen bestimmte Inhalte als besonders wichtig wahrnehmen – und fühlen, dass der Algorithmus mit einer höheren Macht verbunden ist.  Fatal kann das sein, wenn dieses Gefühl durch Postings hervorgerufen wird, die verschwörungsideologisches Gedankengut in sich tragen.

An Wissenschaft mangelt es auf TikTok nicht

TikTok ist dafür bekannt, dass sich gesundheitliche Desinformation auf der Plattform weitgehend ungehindert verbreiten kann. Viele der spirituellen Wellness-Influencer*innen nutzen ähnliche Codes wie die rechtsextreme Szene. Dies kann als Brücke in rechtsextreme Diskurse fungieren und Misstrauen in Institutionen fördern.  

Immerhin: Im Sommer 2024 kündigte die Plattform eine gemeinsame Initiative mit der Weltgesundheitsorganisation an, um Kapazitäten für wissenschaftliches Fact-Checking zu erweitern. 
 
Und: Es gibt bereits haufenweise wissenschaftliche Expertise auf TikTok, die keine verschwörungsideologischen Feindbilder bedient – auch im Bereich Wellness und Gesundheit. Seriöse Accounts von Wissenschaftler*innen wie etwa @dieWissenschaftlerin sind einen Aufruf wert.  

Die Plattform bietet also auch Raum für positive und seriöse Inhalte und macht so fundiertes Wissen zugänglich. Wir müssen diese informativen Stimmen unterstützen und so eine digitale Umgebung schaffen, in der wissenschaftliche Erkenntnisse gehört werden. 

BMJ Förder-Logo

Titelbild: Shutterstock/Pixel Shot

  1. https://stk.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_und_Verwaltung/StK/STK/Dokumente_Antisemitismus/Publikation_%E2%80%9EAntisemitismus_erkennen._Symbole__Codes_und_Parolen%E2%80%9C__2023_.pdf ↩︎
  2. https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/werkstatt/516405/influencing-und-verschwoerungspropaganda/ und https://www.br.de/nachrichten/kultur/netzphaenomen-witchtok-lebenshilfe-von-der-guten-hexe,U52ReOR ↩︎

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