Forschung im Visier: Gespräch über digitale Angriffe auf die Wissenschaft
Die Agrarsoziologin Janna-Luisa Pieper und die Scicomm-Projektleiterin Kristin Küter von Wissenschaft im Dialog kennen es zu gut: Anfeindungen gegen Wissenschaftler*innen im Internet. Wir haben mit beiden gesprochen und erfahren, wie es ist, als Forschende einen Shitstorm zu erleben – und als Mitarbeiterin einer Beratungsstelle für Betroffene in solchen Situationen zu unterstützen.
Luisa, du bist Agrarsoziologin. Als Anfang 2024 bundesweit Landwirt*innen demonstrierten, gabst du dem NDR ein Interview. Darin hast du Teile der Proteste als rechtspopulistisch eingestuft. Die Folge: ein massiver Shitstorm. Was genau ist passiert?
Luisa: Mein Interview ging im negativen Sinne viral – es wurde schon am Tag der Ausstrahlung verkürzt und teilweise verfälscht weiterverbreitet. Gemerkt habe ich davon erst einmal nichts. Als ich mein Baby nachts stillte, habe ich dann gesehen, dass ich ziemlich viele Anrufe auf mein Bürotelefon bekomme. Das ging auch den ganzen nächsten Morgen über so weiter.
Parallel wurde mein E-Mail-Postfach mit Hassmails geflutet. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch: “Ok, vielleicht ebbt das bald ab.” Am späten Vormittag wurde mir aber klar, dass es sich um einen ausgewachsenen Shitstorm handelt. Es waren Hunderte E-Mails mit persönlichen Beleidigungen, Drohungen und Diffamierungen.
Außerdem war nicht nur ich betroffen, sondern auch der gesamte Lehrstuhl, die Mitarbeitenden und die Fakultät. Gemeinsam mit meiner Chefin bin ich dann mit der Pressestelle der Universität in Kontakt getreten – diese ist zuständig für Krisenkommunikation und Krisenmanagement und hat mich wiederum direkt am ersten Tag des Shitstorms mit Scicomm-Support in Verbindung gesetzt.
Kristin, du arbeitest bei Wissenschaft im Dialog in der Einrichtung Scicomm-Support, einer Beratungsstelle für angefeindete Wissenschaftler*innen. Wie entwickeln sich derartige Shitstorms und was geht ihnen üblicherweise voraus?
Kristin: In den meisten Fällen steht an erster Stelle ein reichweitenstarkes Medium. Möglicherweise wurde man als Wissenschaftler*in für ein Interview angefragt oder hat sich in einer Talkshow geäußert. Dann kommt hinzu, dass rechtspopulistische Medien oder Blogs häufig Aussagen von Wissenschaftler*innen aus dem Kontext reißen und nochmals veröffentlichen.
Oder es gab ein mediales Interview, das dann eventuell im „falschen“ Telegram-Chat aufgegriffen wird. Das ist ein Verlauf, den wir öfter beobachten konnten. Teilweise können wir die Entwicklung eines Falls aber auch nicht klar nachvollziehen.
So, wie es auch in dem NDR-Interview zu den Protesten der Bauern und Bäuerinnen der Fall war. Häufig sind nicht nur einzelne Wissenschaftler*innen betroffen. Der Hass richtet sich dann gegen das gesamte Institut. Sind wissenschaftliche Institutionen in Deutschland dafür gerüstet?
Kristin: In Instituten und wissenschaftlichen Einrichtungen gibt es oft ein großes Bewusstsein. Die Kommunikationsabteilungen sind für das Problem sensibilisiert. Was wir außerdem in der Beratung erfahren: Die Einrichtungen verhalten sich größtenteils unterstützend gegenüber den Wissenschaftler*innen. Wir bekommen auch viele Workshopanfragen.
Das zeigt: Man möchte sich vorbereiten, ob als Wissenschaftler*in, als Kommunikator*in oder als Institution insgesamt. Gleichzeitig sind nicht überall Strukturen dafür vorhanden, alle Arten von Anfeindungen abfangen zu können. Eine kleine Hochschule kann das unter Umständen gar nicht leisten. Oder das Justiziariat der jeweiligen Einrichtung hat keine medienrechtliche Perspektive, also keine Anwält*innen, die beispielsweise im Umgang mit Hass im Netz geschult sind.
Hier können wir unterstützen – auch wenn uns etwa Fälle am Wochenende oder abends erreichen, wenn an Einrichtungen niemand im Dienst ist. In allen bisherigen Fällen war es aber so, dass die Betroffenen sich explizit wünschen, dass wir mit ihrer Einrichtung zusammenarbeiten.
Luisa: An meinem Institut hat mein Präzedenzfall dafür gesorgt, dass jetzt eine Strategie entwickelt wird. Präventiv empfehle ich aber, dass jeder Lehrstuhl und jede Fakultät sich bewusst machen, dass wir uns in Zeiten befinden, in denen Hass im Netz und Angriffe auf Wissenschaftler*innen zur Tagesordnung gehören.
Das heißt: Es braucht Guidelines, Medientrainings und Unterstützung für Wissenschaftler*innen, die zu kontroversen Themen forschen. Trotzdem sollte Wissenschaftler*innen dabei nicht vermittelt werden, dass sie sich nicht frei äußern dürfen. Denn dann kommen wir in ein Feld der Selbstzensur. Das ist gefährlich.
Die gewollte Auswirkung dieses Hasses ist, dass sich viel weniger zu kontroversen Themen geäußert wird. Und das ist besorgniserregend.
Kristin: Es muss erst einmal Bewusstsein geschaffen werden. Dann gibt es einige Fragen, die man sich als wissenschaftliche Einrichtung stellen kann: Wie wollen wir reagieren, wer könnte was übernehmen? Wie können Ressourcen aufgeteilt werden? Wie können wir, wenn es eine Person betrifft, diese Person unterstützen?
Es kann auch sein, dass die Anfeindungen mehrere Kolleg*innen betreffen, die zwar zu unterschiedlichen Fachdisziplinen forschen, aber gemeinsam eine Studie veröffentlicht haben. Man sollte dann intern unbedingt wissen, wer wie erreichbar ist in der jeweiligen Rolle, im jeweiligen Fachbereich – auch über den normalen Büroalltag hinaus.
Studien belegen, dass Hass im Netz zum Rückzug zahlreicher Stimmen führt. Betroffene eines Shitstorms fürchten, erneut zur Zielscheibe von Hass und Hetze zu werden. Wie schätzt ihr die Situation ein – gehen wissenschaftliche Stimmen in der deutschen Öffentlichkeit verloren, weil sie zur digitalen Zielscheibe werden?
Kristin: Einen Rückzug betroffener Wissenschaftler*innen oder zumindest die Überlegungen hierzu erleben wir leider immer öfter. Vor allem, wenn es zu heftigen Angriffen oder SLAPP-Klagen kam, also Klagen mit dem Ziel der Einschüchterung.
Es gibt die Fachdisziplinen, die schon immer umstritten waren: wie z. B. Klima, Gender, Tierversuche – und jetzt, aus aktuellem Anlass, auch Protestforschung. Aber wir merken, dass sich das geändert hat. Auch klassische Naturwissenschaften werden angefeindet, ebenso wie Technikwissenschaften, Geisteswissenschaften, Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Bei uns in der Beratung melden sich Personen fast aller Fachdisziplinen.
Oft ist der Rückzug zum Glück nur temporär. Was wir aber generell beobachten: Es wird mehr abgewogen. Kommuniziere ich oder nicht? Gehe ich dieses Risiko ein oder lasse ich es lieber bleiben? Und das wirkt sich natürlich auch auf das analoge Leben aus, z. B. auf Veranstaltungen.
Dort stellt sich dann die Frage, ob es ein ausreichendes Sicherheitskonzept gibt. Manchmal geben Wissenschaftler*innen an, dass sie Störer*innen bei Vorträgen haben. Einige von ihnen suchen Unterstützung und fragen: Wie sorge ich bei Veranstaltungen für meine eigene Sicherheit?
Genauso gibt es Bedenken, da Universitäten und ihre Gebäude aus guten Gründen öffentliche Räume sind. Und Nachwuchswissenschaftler*innen äußern sich immer öfter: “Ich habe starke Zweifel, Wissenschaftskommunikation zu machen. Gerade weil man so viel hört und mitbekommt.” Ebenso nehmen wir jedoch wahr, dass durch unser Angebot allein dadurch, dass es existiert, Rückzügen entgegenwirkt.
Luisa: Ich habe mich nach dem Shitstorm auf Social Media zurückgezogen – einerseits, weil ich in drei äußerungsrechtliche Verfahren involviert war und andererseits, weil ich den Spaß daran verloren habe. Es wurden Videos von mir genutzt, meine Stimme wurde verfremdet.
Ich habe mich dann immer gefragt, bevor ich etwas postete: Wer nutzt das jetzt wofür? Außerdem bekam ich oft negative Nachrichten. Mittlerweile arbeite ich mich da wieder raus, mache mich davon frei und finde langsam wieder Spaß an Social Media.
Außerdem nehme ich weiterhin bewusst die Gelegenheit wahr, mich öffentlich z. B. in Zeitungsinterviews, zu meinen Forschungsthemen zu äußern. Ich möchte den Hater*innen nicht die Genugtuung geben, mir die Stimme zu nehmen.
Wie wirkt sich Wissenschaftsfeindlichkeit im Netz auf unsere offene Debatte aus – und somit auch auf unsere Demokratie?
Luisa: Kritische Stimmen aus der Wissenschaft ziehen sich aus dem Diskurs zurück. Das ist eine Bedrohung für unsere Demokratie. Deshalb appelliere ich an alle Wissenschaftler*innen, ihre Expertise weiterhin in die öffentliche Debatte einzubringen. Und diesen wissenschaftsfeindlichen und demokratiefeindlichen Tendenzen keinen Raum zu geben.
Aber das ist leichter gesagt als getan. Ich selbst habe in meinem Umfeld erlebt, dass Wissenschaftler*innen erwägen, nicht mehr unter eigenem Namen zu veröffentlichen — aus Angst, angegriffen zu werden. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung.
Kristin: Wenn freie wissenschaftliche Stimmen verstummen, ist das demokratiegefährdend. Krisen wie die Covid-Pandemie, aber nicht nur diese, zeigen auf, wie sehr wir faktenbasierte informierte Entscheidungen brauchen. Das können wir nur mit freiem Wissen.
Fast alles in unserem Leben basiert auf Wissenschaft und ihren Erkenntnissen. Demokratie ist Dissens und Wissenschaft ist Dissens. Es geht darum, gut, qualitativ zu streiten – und konstruktiv. Wir wissen, dass marginalisierte Personen mehr angefeindet werden als andere. Da ist dann die Frage, welche Stimmen durch Rückzüge als erstes verloren gehen.
Gerade im Bereich der Wissenschaftskommunikation ist das fatal. Es gefährdet die Demokratie, wenn wir keine Entscheidungen mehr treffen können, die auf der Abwägung von Fakten basieren und im Zweifel als Folge von Hass und Hetze auch die Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt wird.