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Portraitfoto von Inês Marinho dazu der Text Betroffene und Aktivistin: Ein Interview

Bildbasierter sexueller Missbrauch: Interview mit Inês Marinho

Contentwarnung: Dieser Artikel behandelt das Thema sexualisierte Gewalt. Der Inhalt könnte belastend sein und unangenehme Gefühle oder Erinnerungen hervorrufen. Lies ihn bitte mit Vorsicht und achte auf dein eigenes Wohlbefinden. 

Über den Messenger-Dienst Telegram wurden ohne ihre Zustimmung massenhaft intime Aufnahmen von Inês Marinho verbreitet. Deshalb gründete sie mit anderen Betroffenen den Verein Não Partilhes (zu Deutsch „Nicht teilen“), um auf das Problem der bildbasierten Gewalt aufmerksam zu machen und Betroffene zu unterstützen. 

Wie hast du dich gefühlt, als du herausgefunden hast, dass Nacktaufnahmen von dir auf Telegram geteilt wurden? Und wie hast du reagiert?

Ich war gerade bei der Arbeit, als ich erfahren habe, dass jemand meine intimen Fotos im Internet verbreitet hat. Ich war total schockiert. Ich habe die Inhalte sofort gemeldet, weil ich nicht wusste, wie lange sie schon im Internet kursieren. Aber sie waren bereits auf mehreren Pornoseiten veröffentlicht worden. 

Wie hat sich das auf dein Leben ausgewirkt?   

Ich hatte Angst, das Haus zu verlassen, weil ich mehrmals auf der Straße gefilmt oder belästigt wurde. Auf Reddit, Telegram und Twitter wurden sehr bösartige und abfällige Kommentare über mich und meine Familie gepostet, in denen mir teilweise körperliche Gewalt angedroht wurde.  

Mir wurde das Gefühl vermittelt, dass es falsch sei, meine Sexualität frei auszuleben. Ich war wütend und frustriert, weil die Gesellschaft so feindselig auf das reagierte, was mir widerfahren war. Ich bin das Opfer eines Verbrechens und gleichzeitig soll ich dafür verantwortlich sein? 

Sind die Täter*innen bestraft worden?    

Ich habe bei der Polizei gegen mehrere Personen Anzeige erstattet, die sexuelle Inhalte von mir ohne meine Zustimmung verbreitet haben. Doch alle Anzeigen wurden eingestellt. In einem Fall mit der Begründung, dass der Beschuldigte bis zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Straftaten begangen hätte. 

Aus dieser Erfahrung heraus hast du den Verein Não Partilhes gegründet. Was waren die Reaktionen darauf? 

Wir haben viel Aufmerksamkeit erhalten, weil Não Partilhes eine der ersten portugiesischen Webseiten war, die sich mit bildbasierter Gewalt beschäftigt hat. Aber mit dieser Aufmerksamkeit kamen auch massive Beschimpfungen in den Telegram-Gruppen, in denen diese Inhalten geteilt wurden. Es gab auch alle möglichen sexistischen Kommentare gegen unsere Bewegung.  

Doch trotz dieser Angriffe haben durch Não Partilhes viele Betroffene ihre Erfahrungen mit bildbasierter Gewalt öffentlich gemacht. Das hat vielen weiteren Menschen das Gefühl gegeben, dass sie nicht allein sind. So haben wir der breiten Öffentlichkeit gezeigt, dass es sich um ein reales Problem handelt. Und dass es für die Betroffenen und ihre Angehörigen eine ernsthafte Bedrohung darstellt. 

Was ist euer Angebot für Menschen, die von bildbasierter Gewalt betroffen sind?     

Wir bieten verschiedene Online-Inhalte an, um das Bewusstsein für bildbasierte Gewalt zu erhöhen. Außerdem halten wir in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen Vorträge in Schulen und an Universitäten. Betroffene leiten wir an die Safer Internet Hotline von APAV weiter, eine portugiesische Non-Profit-Organisation, die Betroffenen aller Arten von Straftaten hilft. Dort erhalten sie Hilfe bei der Löschung von Inhalten und weitere Unterstützung. 

Was sollte man über bildbasierte Gewalt wissen?      

Sie sollten ihre Fälle melden, damit sie in der Statistik auftauchen und so die Dunkelziffer der Übergriffe verringert wird. Außerdem sollten sich Betroffene an Beratungsstellen wenden, um professionelle Unterstützung zu erhalten. Darüber hinaus ist es sehr wichtig, überhaupt darüber zu sprechen, sich jemanden zu suchen, mit dem man seine Erfahrungen teilen kann und sich so gegenseitig zu stärken. Dadurch merken Betroffene, dass sie nicht alleine sind, sondern dass es viele Menschen gibt, die diese Erfahrung machen. 

Wir wissen, dass es für Betroffene ein Kraftakt ist, Vorfälle zu melden und den Schritt zu wagen, sich zu wehren. Deshalb ist es wichtig, dass das Umfeld den Mut und die Kraft aufbringt, sich gegen die Täter*innen zu wehren.

Bildbasierte Gewalt

… ist das nicht einvernehmliche Teilen von expliziten oder intimen Inhalten, oft auch als IBSA (Image based sexual abuse, bildbasierter sexueller Missbrauch) bezeichnet. Bist du selbst von bildbasierter Gewalt im Netz betroffen? Dann melde dich gerne bei unserer Betroffenenberatung.

Was sind eure Forderungen und Vorschläge, wie sich die Situation für Betroffene verbessern könnte?

In jeder intimen Beziehung ist Einvernehmlichkeit von grundlegender Bedeutung. Daher ist das Teilen expliziter Bilder ohne die ausdrückliche Zustimmung aller Beteiligten eine klare Verletzung der Privatsphäre. Und das kann schwerwiegende emotionale Folgen für die betroffenen Personen haben. Bildbasierte Gewalt kann erhebliche und dauerhafte Auswirkungen auf die Betroffenen haben, darunter emotionale Belastungen, Angstzustände, Depressionen, Beeinträchtigung von Beziehungen, Selbstverletzung und sogar Suizid. Die Auswirkungen sind verheerend und leider gibt es Betroffene, die nicht mehr unter uns sind. 

Gibt es eine Möglichkeit, bildbasierte Gewalt zu verhindern? 

Insgesamt muss das gesellschaftliche Bewusstsein für dieses Problem verbessert werden. Um bildbasierte Gewalt zu verhindern, ist es wichtig, die Aufklärungsarbeit über sexuelle Einvernehmlichkeit, digitale Medienkompetenz und Internetsicherheit zu fördern. Organisationen wie Não Partilhes oder HateAid tragen zu einem sicheren Online-Umfeld bei und helfen dadurch, solche Vorfälle zu reduzieren. 

Wo muss sich das Justizsystem ändern, um Betroffene besser zu schützen?      

Um IBSA zu bekämpfen und Betroffene besser zu schützen, müssen verschiedene Aspekte des Justizsystems und der Strafverfolgung verbessert werden. Gesetze müssen einfacher und umfassender sein, aber aufgrund der unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten in den einzelnen Staaten ist das kompliziert. Deshalb besteht ein dringender Bedarf einer stärkeren Vereinheitlichung der Gesetze in den verschiedenen europäischen Staaten, um einheitliche Konsequenzen zu garantieren. Das würde die grenzüberschreitende Zusammenarbeit erleichtern, wenn sich Täter*innen und Betroffene an unterschiedlichen Orten befinden. 

Was sollte sich bei Gesetzen und Strafverfolgung konkret verändern? 

Gesetze sollten sicherstellen, dass das Verbreiten intimer Inhalte ohne beidseitiges Einvernehmen und mit böswilliger Absicht eine Straftat ist. Die Strafverfolgungsbehörden sollten den Ermittler*innen außerdem spezielle Schulungen in digitaler Forensik anbieten. Dieses Training hilft bei der effizienten Erfassung und Analyse digitaler Beweise im Zusammenhang mit IBSA-Fällen. Zusätzlich sollten die Behörden für den Umgang mit sensiblen Fällen geschult werden, um einen einfühlsamen Umgang mit den Betroffenen zu gewährleisten. 

Welche Rolle spielen hier die Online-Plattformen? 

Die Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörden und Online-Plattformen ist von entscheidender Bedeutung. Plattformen sollten über effiziente und beschleunigte Verfahren verfügen, um explizite Inhalte ohne Einvernehmen zu entfernen.  

Der Umgang mit IBSA erfordert einen vielschichtigen Ansatz, der rechtliche, technologische und soziale Maßnahmen kombiniert. Es erfordert eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen dem Gesetzgeber, Strafverfolgungsbehörden, Technologieunternehmen und Interessengruppen, um sich an die sich entwickelnden Herausforderungen des digitalen Zeitalters anzupassen. 

Was empfiehlst du Betroffenen von bildbasierter Gewalt? 

Meiner Meinung nach ist es am wichtigsten, zu verstehen, dass bildbasierte Gewalt nicht die Schuld der Betroffenen ist und dass Sexualität niemals als Waffe eingesetzt werden darf. Betroffene sollten auf ihr psychisches und emotionales Wohlbefinden achten und eine Therapie oder Beratung in Erwägung ziehen, um mit den emotionalen Auswirkungen der Situation umzugehen. 

Portraitfoto von Inês Marinho
Trotz ihrer eigenen schlechten Erfahrungen macht Inês Marinho anderen Betroffenen Mut, rechtlich gegen bildbasierte Gewalt vorzugehen. Foto: Inês Marinho

Ich rate allen betroffenen Personen, sich Unterstützung zu holen, mit Freund*innen, Familie oder einer*einem Berater*in zu sprechen, die*der emotionale Unterstützung bieten kann. Betroffene sollten die Inhalte bei den Plattformen melden und nach Möglichkeit ihr Umfeld bitten, dasselbe zu tun.

Außerdem sollten sie den Vorfall den Strafverfolgungsbehörden melden und ihnen die notwendigen Beweise zur Verfügung stellen. Dafür ist es sehr wichtig, die Gewalt zu dokumentieren, Screenshots zu machen und alle Beweise zu speichern. Dies wird wichtig sein, wenn rechtliche Schritte eingeleitet werden.  

Wenn die Betroffenen dazu in der Lage sind, empfehle ich ihnen auch, sich an eine*n Anwält*in zu wenden, um über die Möglichkeit zu sprechen, rechtliche Schritte gegen den*die Täter*in einzuleiten. 

Hier findest du Unterstützung

Bist du selbst von bildbasierter Gewalt im Netz betroffen? Dann melde dich gerne bei unserer Betroffenenberatung.

Titelbild: Inês Marinho

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