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Raul Krauthausen

Aktivismus! Wir sprechen mit … Raul Krauthausen

Raul Krauthausen ist nicht nur Aktivist, Moderator und Medienmacher, sondern auch HateAid Unterstützer der ersten Stunde. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet Raul mittlerweile in der Internet- und Medienwelt und ist selbst schon von Hassattacken im Netz betroffen gewesen. Auch aus diesem Grund wurde er im April 2017 zum Mitgründer des Vereins „Fearless Democracy“.

Wir haben mit Raul Krauthausen gesprochen – darüber, warum er sich gegen digitale Gewalt einsetzt, wie man Bewusstsein für diese Gewalt schaffen kann und was er von der Politik fordert, damit Hass im Netz erfolgreich entgegengewirkt werden kann.

Lieber Raul, du setzt dich als Aktivist für die unterschiedlichsten Projekte ein. Was hat dich dazu gebracht, dich gegen Hass im Netz und digitale Gewalt zu engagieren?

Raul: Also, einmal die eigene Betroffenheit: Ich wurde und werde immer mal wieder im Netz gehasst. Oder im Hass genetzt. Zwar sicherlich in einer anderen, milderen Dimension, als das z. B. Frauen oder Muslima erleben müssen, aber genug, dass ich mich unheimlich ärgere. Es ärgert mich, dass uns die Medien die ganze Zeit erzählen, dass man „nur dagegenreden” müsse. Dabei ist Gegenrede nicht die Antwort. Damit gibt man den Hater*innen noch seine Aufmerksamkeit. Stattdessen müssen wir dafür sorgen, dass sie juristische Konsequenzen erleben.  Ich vergleiche das gern so: Wenn irgendjemand ein Hakenkreuz an die Hauswand malt, dann bringt es nichts, daneben ein Graffiti zu malen, das sagt: „Das macht man nicht.” Nicht nur, weil beides Sachbeschädigung ist, sondern weil man das Hakenkreuz am besten sofort wegwischt oder übermalt. Aber Gegenrede ist nicht Übermalen oder Wegmachen, sondern es schenkt Aufmerksamkeit. 

Wir müssen den Medien klar machen, dass Sie diese Aufmerksamkeitsökonomie komplett bedienen, indem sie jedes Mal darüber berichten. Genau diese Aufmerksamkeit ist ja gewollt und dadurch werden Dinge plötzlich sagbar. Ich rege mich darüber auf, wenn Zeitungen oder Medien darüber berichten, dass Twitter irgendeine Meldung von Donald Trump als falsch markiert. Fact Checking kann die Tagesschau machen, aber wenn jemand bewusst lügt und Hass verbreitet, dann gehört das gelöscht!

Ein Faktencheck verzögert die Situation nur und in den Medien darüber zu berichten, verbreitet die Lüge oder den Hass weiter. Dass Twitter eine rote, gelbe oder grüne Ampel daneben setzt, bedient nur die Erzählung, dass Twitter was tut. Das heißt nicht, dass sie das Richtige tun.

Ich war und bin über sowas einfach sauer. Das war der Grund, warum ich mich damals mit anderen Leuten zusammengetan habe, die alle in einer ähnlichen Situation und auch so genervt waren wie ich. Zusammen haben wir Fearless Democracy gegründet. Wir wollten den Hater*innen nicht das Netz überlassen.

Konntest du bei digitaler Gewalt – auch mit Blick auf die Erfahrungen deiner Mitstreiter*innen – in den letzten Jahren eine Veränderung beobachten?

Raul: Ich glaube, dass Dinge plötzlich sagbar geworden sind. Und das ist ein Problem. Der gesamte Diskurs hat sich einfach nach rechts verschoben. Das sieht man an Aufmachern zuletzt im Deutschlandfunk oder auch in der ZEIT, die fragt: „Oder soll man es lassen?” Vor zehn Jahren hätte sich die Gesellschaft nicht getraut, das einfach zu fragen. Und das ist, glaube ich, durch diese Diskursverschiebung, durch den Hass im Netz erst möglich geworden. Durch diese Diskursverschiebung ist auch Hass auf der Straße mehr geworden. Wir kennen alle die Terroranschläge der Vergangenheit. Alle Täter*innen haben sich im Internet radikalisiert.  Sie haben sich im Internet vernetzt.  Sie haben sich untereinander das Gefühl gegeben, sie gehörten zu den Starken, zur Mehrheit oder was auch immer. Und jemand müsse da jetzt was tun. Das liegt, glaube ich daran, dass die Bundesregierung – die verantwortlichen Stellen – den Menschen das Gefühl gegeben haben, dass das Netz ein rechtsfreier Raum ist. Und solange Hass im Netz nicht geahndet wird, so lange ist es ein rechtsfreier Raum

Hat sich die öffentliche Wahrnehmung des Problems „Hass im Netz” deiner Meinung nach geändert?

Raul:  Ja, ich glaube schon, dass das Bewusstsein größer geworden ist. Ich bin auch sehr froh darüber, dass der Diskurs endlich in die richtige Richtung geht und habe Hoffnung, dass wir einen Kompromiss finden. Ich will natürlich auch nicht, dass der Staat kontrolliert, was gesagt werden darf. Da müssen wir aufpassen. Aber ich glaube, dass wir noch weit entfernt davon sind, die Meinungsfreiheit hier einzuschränken.

Konntest du eine Veränderung der Reaktion von Betroffenen beobachten? Nehmen sie weniger hin? Ist das Bewusstsein, sich wehren zu können, gewachsen?

Raul: Ich glaube nicht. Ich glaube, die einzigen, die sich wehren, sind diejenigen, die privilegiert sind, sich zu wehren. Die Personen, die Leute mobilisieren können. Die Menschen, die sich die Zeit nehmen können, sich zurückzuziehen. Diejenigen, die sich Gegenrede organisieren können und so weiter. Die, die einen Anwalt bezahlen können. Die, die sich überhaupt trauen, darüber zu sprechen. Das sind Privilegien, die nicht alle haben.

Und ich glaube, dass viele Menschen sich in diesem Hass allein fühlen. Wir haben uns jahrelang – und auch viel zu sehr – soziologisch mit den Hater*innen auseinandergesetzt. Ist es jetzt Siff-Twitter oder ist nur ein Troll? Ist es Hass, ist es ein Nazi? Zu welcher Bewegung gehört die Person? Ist sie ein*e Frauenhasser*in, ja oder nein?

Wir haben uns jedoch viel zu wenig mit den Betroffenen beschäftigt.  Wir müssen auch Organisationen wie den „Weißen Ring” oder den Krisendienst viel besser dabei unterstützen, Betroffenen zu helfen, die im Netz gehasst werden. Da sehe ich auch die Verantwortung von z. B. HateAid oder Fearless Democracy, Unterstützung anzubieten.

Wenn du sagst, die Reaktion der Betroffenen habe sich noch nicht geändert, wie können wir Bewusstsein dafür schaffen, dass man sich wehren kann. Wie kann man die Menschen erreichen?

Raul:  Ich frage mich, wo eine Person, die den Mut hat, über ihre Erfahrungen zu sprechen, hingehen würde. Wenn ich in dieser Situation zur Polizei oder zum „Weißen Ring” gehe, dann ist die Reaktion vor Ort natürlich wichtig. Es darf einfach nicht sein, dass ein*e Polizist*in einem sagt: „Ja, dann machen Sie doch das Internet aus.” Das ist nicht die Antwort. Die Betroffenen sind nicht verantwortlich für den Umgang mit Hass im Netz, sondern die Gesellschaft. Wenn die Polizei als Repräsentantin und Verteidigerin der Freiheit unserer Gesellschaft nicht in der Lage ist, den Betroffenen zu helfen, haben wir ein Problem.

Ich glaube, Fearless Democracy geht da den richtigen Weg, indem wir Staatsanwaltschaften und andere Institutionen informieren – z. B. in Form von Schulungen. Sowas muss viel breiter organisiert werden und nicht mehr nur in einem Bundesland, sondern in allen Bundesländern und in allen Hierarchien der Rechtsdurchsetzung. 

Du bist ein HateAid Unterstützer der ersten Stunde und bekommst dadurch viel mit: Welcher Erfolg oder Meilenstein der Organisation war in deinen Augen ein Durchbruch im Einsatz gegen digitale Gewalt?

Raul: Ich würde da nicht einen bestimmten Fall hervorheben. Aber durch die vehemente Arbeit mit Renate Künast hat HateAid den Medien klar gemacht, dass das Problem größer ist und dass es auch in der Rechtsdurchsetzung ein strukturelles Problem gibt – das Counter Speech allein nicht lösen kann.  Mit der medialen Präsenz, aber auch z. B. bei Anhörungen im Bundestag leistet HateAid wichtige Aufklärung.

Welches sind in deinen Augen die größten Baustellen? Wo sollten wir ansetzen, um das Netz zu einem besseren Raum zu machen?

Raul: Zum einen braucht es mehr Willen und damit einhergehend mehr Geld: Wir haben schon so viele Strukturen entwickelt haben, wenn es darum geht, Urheberrechtsverletzung im Internet zu ahnden. Automatische Algorithmen gehören zum Beispiel zu diesen Strukturen. Wahrscheinlich wurden bereits Milliarden investiert, um Copyright-Verletzungen zu verfolgen. Aber warum nicht Menschenrechtsverletzungen?

Zum anderen müssen wir es schaffen, die Plattformen mehr in die Verantwortung zu nehmen. Angefangen bei den Nutzer*innen, die viel mehr und einfachere Möglichkeiten haben sollten, Hass zu melden, zu löschen und zu unterbinden. Ich glaube, da kann mit Technik schon eine ganze Menge gelöst werden.  Warum kann ich z. B. bei einem Facebook-Post die Kommentarfunktion nicht einfach nach zwei Stunden schließen? Im übertragenen Sinne: Je mehr weiße Fläche wir Hater*innen bieten, auf der sie ungefragt irgendwas kommentieren können, desto mehr tun sie das auch. Angenommen, ich möchte als Nutzer*in die Möglichkeit haben, etwas auf Facebook zu posten, ohne dass man meinen Post kommentieren kann. Warum geht das dann nicht? Es wäre doch kein Problem. Oder: Warum kann ich es nicht bestimmten Leuten verbieten, meinen Account auf Twitter zu verlinken? Das sind alles einfache technische Maßnahmen, die vermutlich von den Firmen nicht gewollt sind, weil sie damit ihr Geld verdienen.  Sie verdienen ihr Geld mit Hass und Gegenrede und nicht zwangsläufig mit Katzenbildern. 

Was sind deine dringendsten Forderungen an Politik, Behörden und Organisationen im Einsatz gegen Hass im Netz?

Raul:  Die Politik muss den Betroffenen das Gefühl geben, dass sie gehört und ernst genommen werden. Gleichzeitig muss sie mit den IT-Konzernen härter ins Gericht gehen und sie in die Verantwortung nehmen. Ich fand die Idee eigentlich ganz gut, dass man sagt, Firmen müssen aktiv Strafanzeigen stellen.  Ich glaube, dass da sonst einfach nichts passiert. Und so dreht man die Beweisumkehr um und versucht, eine Verhältnismäßigkeit zu finden.

Wo siehst du das Internet und die sozialen Medien in 10 Jahren? Werden sie Grundlage einer offenen Gesellschaft und niedrigschwelligen Demokratie sein oder sind sie ein Ort der Extreme, aus denen der Diskurs der Mehrheitsgesellschaft verschwunden ist?

Raul: Ich glaube, dass das Internet in zehn Jahren ein anderes sein wird. Es wird weniger „Facebook” sein. Sondern kurzlebiger, eher so in Richtung Tiktok oder Kurzvideos. Womöglich wird auch nicht alles unbedingt ewig im Netz gespeichert sein. Ich denke, es wird viele kleine Communitys geben – das Internet wird viel zerklüfteter sein.

Obwohl das Internet dazu neigt, ein Monopol zu sein, glaube ich, dass Alternativen größer werden. Sie werden nicht unbedingt den Facebook-Konzern vom Thron stoßen, aber vielleicht werden sich interessengeleitete Untergruppierungen oder Plattformen herauskristallisieren. Das kann gefährlich sein, weil dann auch die Radikalisierung vermehrt ihre eigenen Plattformen finden wird. Dadurch wird sie schwerer zu kontrollieren bzw. zu beobachten sein. Die Herausforderung, den Diskurs zu lenken und gegen digitale Gewalt vorzugehen, wird wachsen.

Was kannst du anderen Aktivist*innen für ihren Einsatz im Netz mit auf den Weg geben?

Raul: Ihr seid nicht allein. Vernetzt euch! Versucht, zu schauen, wo man das Problem mit einem großen Hebel angehen könnte. Schaut, ob es wirklich ein Lovestorm oder Gegenrede sind, die helfen oder ob ihr euch nicht an ganze andere Stellen wenden müsst. So oder so: Nichts  tun ist gefährlich. Bleibt gemeinsam stark.

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