Verborgene Gefahren: Bildbasierte Gewalt in der Online-Pornowelt
Contentwarnung: Dieser Artikel behandelt das Thema sexualisierte Gewalt. Der Inhalt könnte belastend sein und unangenehme Gefühle oder Erinnerungen hervorrufen. Lies ihn bitte mit Vorsicht und achte auf dein eigenes Wohlbefinden.
Es sind Werbungen wie „Make an AI face porn in one second” mit dem Bild einer Frau daneben. Es sind unzählige gefälschte pornografische Darstellungen berühmter Frauen. Und es sind Pornoplattformen, die nicht handeln: Unsere Berater*innen recherchierten zu der Zielgruppe weiblich gelesener Personen, dem Phänomenbereich Deepfakes und dem potenziellen Tatort Pornoplattformen. Ihre erschreckenden Erkenntnisse fassen sie in diesem Gastartikel zusammen.
Tatort Pornoplattformen: Erkenntnisse unserer Recherche
Immer wieder melden sich meist weiblich gelesene Personen bei uns in der Betroffenenberatung und berichten davon, dass echtes oder verfälschtes intimes Bildmaterial von ihnen unkontrolliert auf Pornoplattformen veröffentlicht und verbreitet wird.
Mal ist es der Expartner, der zu früheren Zeiten ausgetauschte Fotos veröffentlicht. Mal ist es ein Online-Date, das das Gesicht der Betroffenen in fremdes pornografisches Bildmaterial kopiert. Mal sind es völlig Fremde, die versteckte Kameras, sogenannte hidden cams, in öffentlichen Räumen installiert haben. Bildbasierte digitale Gewalt kommt häufig auf Pornoplattformen vor.
Ausgelöst von diesen Erfahrungen haben wir intensiv auf Pornoplattformen recherchiert. Wir wollten uns einen Überblick über das Ausmaß des Problems verschaffen und mögliche Lösungsstrategien erarbeiten. Unser Ziel war es, Kontakt zu den Plattformen aufzunehmen und in deren Trusted-Flagger-Programme aufgenommen zu werden, um betroffene Personen besser unterstützen zu können.
Im Dezember 2023 hat es dann endlich geklappt: Wir wurden in das Trusted-Flagger-Programm bei Pornhub aufgenommen und haben nun eine direkte Ansprechperson bei Aylo, einem großen IT- und Medienunternehmen für Online-Pornografie. Nun können wir Betroffenen gezielter helfen, unerwünschten Content löschen zu lassen.
Unser Fazit: Schockierend, emotional herausfordernd und ernüchternd
Mit wenigen Klicks und lascher Altersabfrage à la „Ja, ich bin über 18 Jahre alt” findet sich gewaltvoller, illegaler und offensichtlich nicht einvernehmlich verbreiteter Content auf den verschiedenen Pornoplattformen. Es ist erschreckend leicht, an pornografische Aufnahmen von Minderjährigen, Bildern von Vergewaltigungen oder Missbräuchen sowie ‚hidden cams‘ aus öffentlichen Räumen zu gelangen.
Betroffene Personen berichten uns, dass es schwer ist, einzuschätzen, auf welchen Plattformen das Bildmaterial zu finden ist – und wie lange es dort zu finden sein wird. Denn sobald Inhalte auf den großen Plattformen geteilt wurden, werden sie auf etlichen Subplattformen verbreitet. Selbst, wenn Betroffene erfolgreich erzielen, dass es auf einer Plattform zur Löschung kommt, heißt das nicht, dass das auf den kleineren Plattformen auch so ist. Demnach scheint es genauso schwer, den verbreiteten Inhalt einzudämmen, wie diesen offline zu behalten.
Judith, HateAid-Beraterin
Wenn es an Meldewegen scheitert
Die Meldewege auf den Pornoplattformen sind ein großes Problem, denn sie sind weder niedrigschwellig noch einheitlich, oder intuitiv. Teilweise müssen sich Betroffene erst einen Account anlegen oder sich mit Geduld und Geschick durchklicken, um Videos melden zu können. Oft werden die Videos sofort abgespielt, sodass die Gefahr einer Retraumatisierung besteht. Dabei zögern manche Betroffene aus Scham, Fachpersonal oder Personen aus dem privaten Umfeld um Unterstützung zu bitten.
Zu den meisten Plattformen ist es nicht möglich, direkten Kontakt aufzunehmen, selbst, wenn E-Mail-Adressen oder ein Impressum hinterlegt sind. Auch wir haben es auf verschiedenen Pornoplattformen vielfach versucht und trotzdem kam kein Kontakt zu Stande. Wenn überhaupt etwas zurückkam, waren es automatisch verschickte E-Mails. Auch sind wir nicht in das Trusted-Flagger-Programm von Pornhub aufgenommen worden, das eigentlich für genau solche Zwecke sein sollte.
Zwei besonders vulnerable Gruppen
Frauen des öffentlichen Lebens
Ein Phänomen, das uns auffällig oft begegnet, ist Deepfake-Pornografie. Inzwischen reicht leider ein einziges Foto einer Person zur Erstellung von Deepfakes, deshalb ist es prinzipiell möglich, dass auch Privatpersonen von Deepfake-Pornografie betroffen sind. Unsere Recherche ergab jedoch, dass prominente weiblich gelesene Personen weitaus öfter betroffen sind. Deepfake-Pornos von nahezu jeder Frau des öffentlichen Lebens sind leicht zugänglich und reichlich zu finden. Wir fanden besonders viel Material von Fernsehjournalistinnen, Moderatorinnen und Politikerinnen auf den Pornoplattformen.
Hier fällt sofort auf, dass diese Deepfake-Pornos nicht für Erotik und Lustgewinn erstellt werden, sondern Macht und Erniedrigung schüren. Insbesondere weiblich gelesene Personen werden in Hardcore- oder gewaltvollen Pornos dargestellt. Wenn diese Art der Pornografie männlich gelesene Personen überhaupt betrifft, werden diese oft in homosexuellen Kontexten gezeigt, ebenfalls von Männern dominiert oder erniedrigt.
Sexarbeiter*innen
Sexarbeiter*innen sind Personen, die sexuelle Dienstleistungen gegen Bezahlung anbieten. Dazu zählen unter anderem Webcam Modeling, Escort-Dienste, Darstellungen in Pornofilmen und sexuelle Praktiken gegen Bezahlung.
Sulema Vasquez, Sexarbeiterin
Sexarbeiter*innen trifft zum Beispiel die verfälschte Darstellung auf Pornoplattformen in besonderem Maße. Denn Deepfakes bedrohen Sexarbeiter*innen nicht nur auf persönlicher Ebene, sondern auch ihre Arbeitsgrundlage.
Deepfakes können die Selbstbestimmung der Sexarbeitenden auf zwei Arten verletzen: So werden die Körper der Sexarbeiter*innen zur Erstellung gefälschten Bildmaterials missbraucht oder das Gesicht einer Sexarbeiterin wird in einen anderen Porno per Deepfake reinkopiert. Der Verlust über Kontrolle und Exklusivität der Dienstleistungen bedeutet für Sexarbeiter*innen eine persönliche Bedrohung und existenzielle Risiken.
Eine Beratungsstelle für Sexarbeiter*innen mit Sitz in Berlin, die wir empfehlen, ist Hydra. In einem Fall von digitaler Gewalt können sich natürlich auch Sexarbeiter*innen an uns wenden.
Die Grenzen unserer Arbeit – Rahmenbedingungen müssen sich ändern
Wir können Betroffenen von bildbasierter Gewalt zur Seite stehen und mit ihnen Sicherheitsmaßnahmen durchgehen. Wir können uns Pornoplattformen genau anschauen und auf die Missstände hinweisen. Aber, wie unsere Recherche zeigt, können wir die Täter*innen fast nie zur Rechenschafft bringen. Die Grenzen unserer Arbeit liegen da, wo die Plattformen nicht erreichbar sind, sie die digitale Gewalt auf ihren Seiten ignorieren und so ein Vorgehen dagegen blockieren. Das muss sich endlich ändern.
Wir fordern von der Politik: Plattformen müssen handeln
- Konsequentere Aufsicht über und Sanktionierung von Pornoplattformen auf deutscher und europäischer Ebene.
- Stärkung der Medienkompetenz bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen durch nationale Aufklärungskampagnen zu Deepfakes und deren Konsequenzen.
- Mehr Ressourcen für die Strafverfolgungsbehörden zur effektiveren Bekämpfung von Deepfake-Pornographie.
- Förderung der Entwicklung und Implementierung von Technologien zur Erkennung von Deepfakes.
Unsere konkreten Forderungen aus der Petition gegen Pornomanipulation
- Verbot für Face Swap Apps und sonstige Dienste, die Erstellung von gefälschten Nacktfotos und pornographischen Videos zu ermöglichen.
- Pflicht für App-Stores, Apps, die die Erstellung von pornographischen Deepfakes ermöglichen, zu sperren.
- Stärkere Gesetze gegen Deepfakes. Die Erstellung von Deepfakes sollte kein absolutes Antragsdelikt sein, sondern auch bei Vorliegen eines öffentlichen Interesses verfolgt werden können.
Titelbild: Shutterstock