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Gollaleh Ahmadi

Stärke! Wir sprechen mit … Gollaleh Ahmadi

Gollaleh Ahmadi ist Kommunalpolitikerin. Als Fraktionsvorsitzende der Grünen Fraktion in Spandau befasst sie sich u. a. mit den Themen Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit. Sie setzt sich dabei für ein buntes und vielfältiges Spandau ein – und erntet im Netz Hass dafür.

Seit November 2020 ist Gollaleh Ahmadi nun auch HateAid-Klientin. Im Interview mit uns erzählt sie von ihren Erfahrungen mit digitaler Gewalt, erklärt, warum junge Frauen besonders oft im Netz angegriffen werden und weshalb es trotzdem wichtig ist, sich weiterhin zu engagieren.

Frau Ahmadi, Sie sind Fraktionsvorsitzende der Grünen Fraktion in Spandau – und HateAid-Klientin. Wie hängen diese beiden Rollen für Sie zusammen?

Bei mir führte das eine zum anderen. Durch den Posten als Fraktionsvorsitzende bin ich natürlich mittlerweile ganz anders präsent als zuvor – auch auf Social-Media-Plattformen. Das führt leider aber auch dazu, dass ich häufiger digitale Angriffe zu spüren bekomme. Ganz abgesehen davon wird man als Grünen-Politikerin, dann noch mit Migrationshintergrund, automatisch zur Zielscheibe von Menschen, die unkritisch lesen, was die AfD-Politiker*innen veröffentlichen. Dazu brauche ich mich selbst gar nicht äußern, es reicht meine bloße Anwesenheit auf Social Media.

Man kann also sagen, wenn frau sichtbar im Internet ist – und da muss man tatsächlich betonen, dass diese Angriffe sich ganz besonders häufig gegen Frauen richten – und dazu intersektionale Merkmale aufweist, dann trifft der Hass im Netz sie doppelt und dreifach.

Wie sind Sie bisher mit digitaler Gewalt umgegangen? Haben Sie sie zur Anzeige gebracht und was waren Ihre Erfahrungen damit? 

Das kam darauf an: Je nach Formulierung, Kontext und persönlicher Belastung bin ich unterschiedlich mit digitaler Gewalt umgegangen. Entscheidend war oft, wie viel ich zuvor schon ertragen musste. Wenn ich ein paar Wochen lang in Ruhe gelassen wurde, dann war es einfacher, mit Anfeindungen umzugehen.

Jetzt blockiere ich sehr viel mehr – das habe ich vorher nicht gemacht. Anfangs dachte ich noch, man könnte mit den Hater*innen sprechen, in den Dialog treten oder sogar konstruktiv diskutieren. Mittlerweile habe ich aber gemerkt, dass das nichts bringt. Sobald ich das Gefühl habe, es geht nur in eine hassende Richtung, lösche ich Kommentare auch.

Melden hingegen bringt meiner Erfahrung nach leider oft nicht viel. Oft werden Verstöße nicht als diese erkannt – oder auch mal erst Monate später. So ging es mir letztens, als ich bezüglich eines Kommentars, den ich auf Twitter bereits im Dezember gemeldet habe, nun Monate später die Benachrichtigung über die Löschung des Tweets und des Accounts bekommen habe. Das dauert leider viel zu lange.

Zur Anzeige gebracht habe ich digitale Gewalt schon mehrmals – bislang leider erfolglos. Die Anzeigen wurden eingestellt oder auch gar nicht erst nachverfolgt.

Wie beeinflusst die digitale Gewalt, der Sie ausgesetzt sind, Ihre politische Arbeit? Nutzen Sie beispielsweise Social-Media-Kanäle mittlerweile anders? 

Ja, definitiv. Ich bemerke immer wieder, dass ich versuche, Beiträge weniger „provokativ“ – was auch immer das bedeuten soll – zu verfassen. Manchmal verfasse ich Tweets und lese sie zur Kontrolle nicht etwa zwei, sondern zehn oder 15 Mal. Ich versuche schon vor dem Posten einzuschätzen, wie der Tweet später ankommen könnte. Außerdem stelle ich mir selbst oft die Frage, ob ich mich nun wirklich auch zu dem jeweiligen Thema äußern sollte. Wenn es aber für mich oder meine politische Arbeit wichtig ist, dann tue ich es. Ich weiß dann aber auch, dass ich nicht nur mit Gegenwind, sondern mit Hass und Gewalt als Antwort darauf rechnen muss.  

Haben sich die Anfeindungen, die Sie erreichen, in der letzten Zeit verstärkt? Spüren Sie persönlich eine Zunahme von digitaler Gewalt während der Corona-Pandemie? 

Meiner Erfahrung nach hat der Hass im Netz im Zuge der Corona-Pandemie zwar zugenommen, gewalttätiger ist er aber nicht geworden. Die Anfeindungen, die mich im Netz erreichen, sind aber auf jeden Fall mehr geworden – auch, weil die gesamte Querdenker-Bewegung dazugekommen ist. Im Großen und Ganzen sind es zwar weiterhin die gleichen Personen, die Hatespeech im Netz verbreiten, es wurden in den letzten Monaten allerdings immer mehr.

Seit November 2020 sind Sie nun HateAid-Klientin. Wie hilft Ihnen HateAid, mit den Anfeindungen im Netz umzugehen? Welche Art der Unterstützung ist für Sie besonders wichtig und wie empfinden Sie die Zusammenarbeit mit HateAid? 

Es ist wahnsinnig beruhigend, zu wissen, dass ich einfach einen Screenshot von möglichen justiziablen Inhalten machen und diesen an euch weiterleiten kann. Als Kommunalpolitikerin arbeite ich außerdem zumeist ehrenamtlich. Dementsprechend war es für mich bislang auch eine finanzielle Frage, ob ich mich juristisch gegen Hass und Hetze im Netz wehre. Kommunalpolitiker*innen stehen zwar häufig in der Öffentlichkeit, sind aber oft nicht ausreichend geschützt. Deswegen ist es umso wichtiger, dass ich durch HateAid eine erste Einschätzung bekomme, ob ich juristisch gegen die Inhalte vorgehen kann und sollte oder nicht. Bei HateAid arbeiten Expert*innen, die mir zuhören und verstehen, wie ich mich als Betroffene*r von digitaler Gewalt fühle. Das ist wirklich gut! Es verschafft mir eine gewisse Sicherheit, zu wissen, dass HateAid meine Anlaufstelle ist und es Menschen gibt, die mir den Rücken stärken.

Als junge Politikerin sind Sie sowohl von rassistischen als auch von sexistischen Anfeindungen im Internet betroffen. Was meinen Sie, warum richtet sich digitale Gewalt so häufig gegen Frauen?  

Bei dieser Form von Gewalt geht es um Machtstrukturen. Diese Angriffe basieren auf alten Machtverständnissen, nach denen Frauen zuzuhören haben. Nach diesem veralteten Rollenverständnis hat die Frau entweder die Rolle der Mutter zu erfüllen, die sich um ihre Kinder kümmert, oder die Rolle der Hausfrau. Aber das Sichtbar sein als Frau gehört nicht zu diesem veralteten Bild. Dass eine Frau präsent und laut ist und sich über die Umstände und Ungerechtigkeiten beschwert oder gar die Machtstrukturen durcheinanderbringt, soll durch diese Form der Gewalt unterbunden werden. Deshalb sind vor allem Frauen und auch in besonderem Maße migrantische Frauen von Hass im Netz betroffen. Es ist purer Sexismus, ja schon Frauenhass, der sich so manifestiert. Häufig mischen sich dann diese sexistischen mit rassistischen Anfeindungen.

Hass im Netz richtet sich auch oft gegen diejenigen, die sich für andere einsetzen. Was raten Sie anderen jungen Menschen, die sich politisch oder anderweitig engagieren wollen?  

Das ist wirklich eine sehr gute Frage. Ich werde häufig für Empowerment-Veranstaltungen für junge Menschen angefragt, bei welchen es darum geht, sie zum politischen Engagement zu motivieren. In diesen Situationen stelle ich mir häufig die Frage, ob ich ihnen das empfehlen kann. Ich bin da ganz ehrlich: Ich sage jungen Menschen, was auf sie zukommen könnte. Digitale Gewalt trifft ja auch nicht alle im gleichen Maße. Trotzdem empfehle ich vor allem jungen Frauen, die in die Politik gehen oder sich anderweitig engagieren wollen, sich Verbündete zu suchen. Verbündete sind wahnsinnig wichtig: Sie halten zu dir und könnten zur Not auch auf den Hass reagieren, wenn man es selbst gerade nicht kann. Durch Verbündete weißt du außerdem, dass du nicht alleine bist.

Was sind Ihre persönlichen Ratschläge für Betroffene von digitaler Gewalt? Wie geht man am besten mit Hass im Netz um? 

Sowohl jungen Menschen, die sich engagieren wollen, als auch allen Betroffenen von digitaler Gewalt rate ich: Lasst euch den Mund nicht verbieten! Hört nicht auf, euch zu engagieren! Die Hater*innen sind nicht in der Mehrzahl. Es sind wenige! Lasst euch von daher nicht klein kriegen und holt euch Hilfe und Unterstützung, wenn ihr sie braucht.

Anfang April ist ein neues Gesetzespaket gegen Hass und Hetze im Netz in Kraft getreten. Wie wichtig sind diese politischen Veränderungen, um das Netz für alle sicherer zu machen? 

Ich halte diese gesetzlichen Veränderungen für sehr, sehr wichtig. Potentiellen Täter*innen wird dadurch aufgezeigt, dass ihre Taten im Netz genauso strafbar sein können wie in der analogen Welt. Und das ist ein wichtiger Schritt. Dass wir nur mit politischen Veränderungen im Kampf gegen digitale Gewalt weiterkommen, bezweifle ich allerdings. Letztendlich sind wir weiterhin davon abhängig, ob Polizei, Sicherheitsbehörden und andere Anlaufstellen die angezeigten Inhalte tatsächlich als strafrechtlich relevant klassifizieren oder nicht. Oft geht es dabei auch um individuelle Auslegungen und Interpretationen. Diese Erfahrung musste ich auch schon machen. Viele Anzeigen verlaufen deshalb bislang ins Leere – leider. Wir brauchen vor allem eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden und der Justiz und müssen Sachbearbeiter*innen für die Thematik sensibilisieren.

Inwiefern sehen Sie als Fraktionsvorsitzende die Politik in der Verantwortung, noch mehr gegen digitale Gewalt und für die Betroffenen von Hass und Hetze im Internet zu unternehmen? 

Von Seiten der Politik gibt es noch einiges zu tun: An erster Stelle ist mehr Druck auf die Betreiber*innen von Social-Media-Plattformen auszuüben. Diese müssen in die Pflicht genommen werden, schneller und zuverlässiger auf Meldungen zu reagieren und ihre Community-Richtlinien dementsprechend anpassen. Wenn gemeldete Kommentare tatsächlich innerhalb kurzer Zeit gelöscht werden, würde das schon einiges erleichtern. Das würde außerdem zu einer Täter*innenabschreckung führen.

Außerdem muss die Politik weiterhin aktiv bleiben. Die Gesetzeslage wurde nun angepasst, aber es muss erkannt werden, wann und inwiefern diese Anpassungen möglicherweise noch verschärft werden sollten. Ich denke, das sind die zwei wichtigsten Säulen, die die Politik beachten muss, um digitaler Gewalt entgegenzuwirken.

Wenn Politiker*innen, Organisationen und Einzelpersonen sich weiterhin gegen digitale Gewalt engagieren – wie sieht dann das Internet in zehn Jahren Ihrer Meinung nach aus?

Ich denke, es wird trotzdem weiterhin Hatespeech geben. Aber: Wenn wir uns alle gemeinsam dagegen engagieren und wenn wir es schaffen, die gesellschaftlichen Strukturen so zu gestalten, dass digitale genauso wie physische oder psychische Gewalt als Gewalt anerkannt wird, wird das Internet für alle sicherer sein. Auch in der analogen Welt sehen wir, dass Straftaten durch Gesetze nicht immer verhindert werden können. Hinzukommt, dass die Problematik leider über viele Jahre vernachlässigt und relativiert wurde. Deshalb denke ich, dass es auch weiterhin immer Menschen geben wird, die Hatespeech im Netz verbreiten werden. In zehn Jahren, denke ich, wird dieser Anteil allerdings deutlich kleiner sein. Außerdem wird man spätestens in zehn Jahren – ich hoffe schon viel früher! – anders und viel gezielter gegen Hatespeech vorgehen.

Abschließend möchte ich an die Leser*innen dieses Interviews appellieren: Seid solidarisch! Erkennt den Betroffenen von digitaler Gewalt nicht ihre Erfahrungen ab. Auch nicht, wenn sich diese Vorfälle häufen. Verhaltet euch bitte weiterhin solidarisch und tut diese Solidarität auch kund. Das ist so wichtig für alle, die selbst von digitaler Gewalt betroffen sind, damit diese Form der Gewalt nicht zur Normalität wird.

(C) Foto: Julia Bornkessel

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