Folgenschwere Suchergebnisse: Geänderter Google-Algorithmus schützt Betroffene
Google-Suchergebnisse sorgen für Irritation
Im Jahr 2021 wurden wir bei HateAid wiederholt von Betroffenen aufgesucht, die von Problemen mit Google-Suchergebnissen berichteten. Die Fälle ähnelten sich auffällig: Wurde der eigene Name gegoogelt, erschienen an prominenter Stelle Suchergebnisse, die den Namen enthielten und zu Seiten mit explizit sexualisierten Inhalten wie pornographische Plattformen oder unseriösen „Dating-“ und Seitensprungportalen führten. Wobei es sich nicht um Namen à la „Lisa Meier” handelte, was Zufall hätte sein können, sondern durchaus seltene, ungewöhnliche.
Die Folgen für Betroffene, deren Namen unwillent- und unwissentlich auf solchen Seiten auftauchen, sind fatal. Ergebnisse dieser Art implizieren, dass die Betroffenen auf diesen Plattformen aktiv sind – dass sie auf den Seitensprungportalen angemeldet sind oder pornografische Inhalte von sich bzw. sexuelle Handlungen im Netz anbieten oder gar, dass sie diese Seiten betreiben. Das kann rufschädigend sein, zu beruflichen Nachteilen führen oder sogar zur sozialen Isolation – alles aufgrund von Missverständnissen. Die Betroffenen leiden sehr und fühlen sich machtlos; psychisch kann eine solche Situation sehr belastend sein: Schlafprobleme, Schwierigkeiten mit Partner*innen oder Familie und Panikattacken sind nicht selten.
Als sich 2021 die Betroffenen bei uns meldeten, haben wir in jedem Fall individuell beraten und dabei aus den anderen Fällen Schlüsse gezogen und Synergien geschaffen. Allein die Tatsache, dass sie mit ihrem Fall nicht allein waren, hat einigen Betroffenen bereits geholfen. In unserer stabilisierenden Beratung haben wir die Fälle besprochen und den Ratsuchenden emotionale Unterstützung angeboten. Aber damit war es noch lange nicht getan. Wir wollten wissen, woher diese Ergebnisse kommen, wer dafür verantwortlich ist und vor allem, wie wir sie entfernen lassen können …
„Es tut uns leid, unsere Firma existiert nicht“
Der erste Anhaltspunkt waren die Betreibenden der jeweiligen Seiten. Wie kamen sie an die Namen unserer Klientinnen (alle Betroffenen waren Frauen) und woher kam der Zusammenhang der Namen mit ihren Seiten? Die Betreibenden zu kontaktieren, erwies sich als schwierig oder gar unmöglich: Diese sitzen im Ausland und wenn es überhaupt ein Impressum oder Kontaktdaten gibt, laufen die Kontaktaufnahmeversuche ins Leere. Es war beinahe unmöglich, an die Verantwortlichen heranzukommen. Erschwerend kam hinzu, dass die Seiten selbst kurzlebig sind: Sie verschwinden oft und es kommen neue dazu. Die Plattformen haben stets kryptische Adressen und sind – abgesehen davon, dass sie in der Suchmaschine gefunden werden – niemandem bekannt. Auffällig war auch, dass die Namen der Betroffenen nie auf den Seiten selbst erschienen. Warum wurden sie und die unbekannten Seiten aber überhaupt gefunden? Es war Zeit, sich bei Google nach dem Phänomen zu erkundigen.
Manuelle Meldungen von Ergebnissen: ein Kampf gegen Windmühlen
Bei Google ist es möglich, einzelne Suchergebnisse zu melden. Unsere Betroffenen haben zum Teil Monate damit verbracht, die neu auftauchenden Ergebnisse und Seiten immer wieder zu melden. Die Rückmeldungen brauchten jeweils ihre Zeit und führten dann zur Löschung eines einzelnen Ergebnisses. Bis dahin gab es aber zahlreiche neue. Eine Lösung für das Problem war das nicht. Und es war immer noch unklar, wie die Namen und die Seiten zusammenhingen …
Die Maschine sieht etwas anderes als der Mensch
Wir haben IT-Fachleute gefragt und diese fanden heraus, dass die betreffenden Seiten durch Keyword-Stuffing, eine bestimmte SEO-Technik, ihr Google-Ranking erreichten. Beim Keyword-Stuffing bekommt die Suchmaschine unter der gleichen Adresse eine andere Seite angezeigt als die Benutzer*innen. Da die Maschinen nur Textdateien auslesen, bekommen sie hier einfache HTML-Seiten mit einer Menge Text voller relevanter Stichwörter angezeigt, während User*innen eine Seite mit Foto- und Videoinhalten sehen. Diese Technik ist bei allen Suchmaschinen in der Regel verboten, da sie Suchergebnisse manipuliert – auch Google hat eine klare Policy, die das Keyword Stuffing untersagt. In den Fällen, die wir sahen, waren die Seiten voller zusammenhangloser Texte, die vermutlich aus anderen Seiten automatisch zusammenkopiert wurden. Die Namen der Betroffenen (und tausender anderer Personen) tauchten in diesen Texten auf. Für sie war diese technische Erklärung erleichternd, da dies bedeutete, dass die Ergebnisse nicht das Werk einzelner Personen waren, die sie persönlich angreifen und schädigen wollten.
Ein spezieller Meldeweg und Verschärfung der Policy
Wir hatten nun also eine technische Erklärung gefunden, aber die Betroffenen mussten noch immer jeden Treffer einzeln melden. Konnte das Problem nicht an der Wurzel gepackt werden? Wir haben uns mit den vorliegenden Fällen an unsere Ansprechpersonen bei Google gewandt und wurden zu einem Gespräch eingeladen. Gemeinsam besprachen wir die Problematik und analysierten die Fälle. Die Mitarbeitenden von Google hatten sich schon mehrfach mit Keyword Stuffing beschäftigt und erläuterten uns ihre Nachbesserung der Algorithmen. Nach dem Gespräch wurden alle Meldungen unserer Klient*innen entfernt.
Hier zeigt sich, dass es immer wieder neue Phänomene im Bereich digitaler Gewalt gibt, wie den Missbrauch von Suchmaschinen. Oft brauchen die Konzerne lange, bis sie auf solche Phänomene reagieren. Der Schaden für die Betroffenen ist dann schon lange angerichtet. Es ist ärgerlich, dass wir erst proaktiv auf Google zugehen mussten, bis die Ergebnisse gelöscht wurden. Doch gleichzeitig sind diese Fälle ein Beispiel, wie eine Zusammenarbeit im Einsatz gegen digitale Gewalt nachhaltig wirkt: Durch die Algorithmus-Anpassungen sind andere künftig vor diesem Problem geschützt.
Es lohnt sich also für uns als Zivilgesellschaft, auf die Plattformen und Internetkonzerne zuzugehen und unseren Schutz als Nutzende einzufordern.
Wenn du deinen Namen auf skurrilen Websites findest oder andere Formen von digitaler Gewalt erfährst, kannst du dich immer an unsere Berater*innen wenden.