
Melden mit Wirkung: Der Job der Trusted Flagger
Stelle dir vor, eine Morddrohung gegen dich steht öffentlich in einer Kommentarspalte. Als wäre das nicht schlimm genug, steht dort am Ende auch noch deine Adresse. Sichtbar für Millionen von Menschen, deren Absichten du nicht kennst. Du meldest den Kommentar, klar. Doch dann passiert nichts. Alle können den Beitrag sehen. Alle sehen deine Adresse. Die Plattform braucht Wochen, um deine Meldung zu prüfen. Erst dann entscheidet sie, ob der Beitrag gelöscht wird. Zeit verstreicht, die Angst wird größer. 34 Prozent mehr strafbare Hasspostings 2024 im Vergleich zum Vorjahr zeigen: Das ist keine düstere Fantasie. Es ist Alltag im Netz. Und nur eines von vielen Beispielen. Shoah-Leugnung, rassistische Anschlagsfantasien, Vergewaltigungsandrohungen. All das bleibt stehen und spielt radikalen Kräften in die Hände. Propaganda erreicht durch die Flut hasserfüllter Beiträge jeden Tag die Kinderzimmer. Sie ebnet den Weg für mitunter tödliche Gewalt im analogen Leben.
Hier kommen Trusted Flagger ins Spiel, die Hinweisgebenden der digitalen Welt.
Trusted Flagger: Was ist das überhaupt?
Trusted Flagger melden strafbare Inhalte an große Tech-Konzerne wie Meta. Achtung: Die Entscheidung, ob die Inhalte tatsächlich gelöscht werden, treffen weiterhin die Plattformen. Trusted Flagger sind speziell geschulte Hinweisgebende. Ihre Meldungen sind genauer und rechtlich begründet. Deshalb können und sollen sie schneller bearbeitet werden. Trusted Flagger sind in vielen Bereichen aktiv: auf Pornoplattformen, Online-Marktplätzen oder auf Social Media. Ihre Hinweise helfen überall dabei, illegale Inhalte schneller zu erkennen und zu entfernen.
Dieser Mechanismus an sich ist nicht neu. Manche Plattformen haben solche Meldestellen schon in der Vergangenheit freiwillig eingeführt. Neu ist der rechtliche Rahmen durch den Digital Services Act (DSA) der Europäischen Union. Der DSA ist sowas wie das Grundgesetz des Internets. Er verpflichtet große Plattformen dazu, Hinweise von Trusted Flaggern bevorzugt zu prüfen. Früher beruhte das Ganze auf den internen Richtlinien der jeweiligen Plattformen. Sie unterschieden sich von Plattform zu Plattform und betrafen neben strafrechtlich relevanten Posts auch solche, die gegen die Community-Standards verstießen. Heute geht es im verpflichtenden Programm ausschließlich um Inhalte, die gegen das Gesetz verstoßen. Trusted Flagger sind deshalb ein wichtiger Schritt hin zu einem Internet, in dem geltendes Recht durchgesetzt wird.
Was sich außerdem geändert hat:
Vorher
Nachher
- Freiwilliges Programm einiger Social-Media-Plattformen
- Keine transparente Liste aller Trusted Flagger
- Trusted Flagger mussten keine besondere Qualifikation nachweisen.
- Formelles Verfahren
- User*innen können alle Trusted Flagger auf einer Liste einsehen.
- Trusted Flagger müssen einen Antrag stellen, um ihre Zuverlässigkeit, Unabhängigkeit und Sachkunde nachzuweisen. Außerdem müssen sie benennen, für welche Plattformen und Inhalte sie zugelassen werden wollen. Die Meldenden müssen mindestens über den Abschluss des ersten juristischen Staatsexamens verfügen.
- Wenn Plattformen feststellen, dass Meldungen oft mangelhaft sind, können sie dies einer Aufsichtsbehörde mitteilen. Im Ernstfall kann die Aufsichtsbehörde den Trusted Flaggern ihren Status entziehen.
Seit Juni 2025 ist auch HateAid als Trusted Flagger im Rahmen des DSA zugelassen.
HateAid ist Trusted Flagger. Wieso gerade wir?
Um als Trusted Flagger zugelassen zu werden, müssen Organisationen einige Kriterien erfüllen. Sie müssen
- unabhängig von Plattformen sein,
- besondere Kompetenzen in der Erkennung und Meldung illegaler Inhalte haben und
- Meldungen sorgfältig und genau an Plattformen übermitteln.
Alltag bei den Plattformen ist, dass Menschen ohne juristische Ausbildung die gemeldeten Inhalte prüfen. Unser Qualitätsstandard ist höher: Unsere Meldenden müssen über einen juristischen Abschluss verfügen und kennen sich mit den Gesetzen gut aus. Schon seit 2020 sind wir außerdem Trusted Flagger im damals freiwilligen Programm bei YouTube. Wir bringen also viel Erfahrung mit: sowohl im Umgang mit illegalen Inhalten als auch im Einsatz gegen digitale Gewalt.
Was genau bringen dir Trusted Flagger?
Zurück zur Morddrohung vom Anfang. Für Betroffene digitaler Gewalt ist es wichtig, dass illegale Inhalte gegen sie schnell gelöscht werden. Oft dauert es Wochen oder Monate, bis Plattformen reagieren. Jetzt landen Meldungen von uns ganz oben auf dem Stapel und müssen schnell gesichtet werden. Unser Status bringt dir im konkreten Fall also schnelleren Schutz und Gerechtigkeit.
Trusted Flagger sollen dafür sorgen, dass die großen Tech-Konzerne Verantwortung übernehmen und sich an das Grundgesetz halten. Die Gesetze gibt es. Sie müssen aber auch konsequent durchgesetzt werden. Das gilt auch für illegale rassistische oder antisemitische Inhalte, etwa Volksverhetzung. Je länger solche Inhalte online bleiben, desto mehr Menschen sehen und verbreiten sie. Das führt dazu, dass im Netz ein Klima der Gesetzeslosigkeit herrscht: Besonders Extremist*innen glauben dann, sie können posten, was sie wollen – es passiert sowieso nichts.
Bleiben strafrechtlich relevante Falschmeldungen, also organisierte Desinformation, online, verringert das das Vertrauen in Politik und Demokratie und erschüttert so die innere Sicherheit. Auch mit Blick auf den Schutz von Kindern und Jugendlichen ist es wichtig, dass die Plattformen gefährdende Inhalte schnellstmöglich entfernen.
Trusted Flagger sind ein Versuch, Betroffene und ganze Gesellschaften vor den Täter*innen der digitalen Welt und der Machtlosigkeit gegenüber großen Tech-Konzernen zu schützen.