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Blick auf einen Schreibtisch mit Laptop. Dazu der Text: Unternehmen im Shitstorm und ein beleidigender Kommentar.

Unternehmen in der Sch****! Wir sprechen mit … Solidrinks und OTTO über Shitstorms und Hass im Netz

Nicht nur Menschen in Politik, Journalismus oder Privatpersonen werden auf Social Media attackiert – Hass und Hetze finden sich auch oft in den Kommentarspalten unter (Werbe)-Posts von Marken und Unternehmen. Egal ob sie mit Regenbogenfarben, politischen Witzen oder einfach nur für vegetarische Produkte werben, selbst die vermeintlich harmlosesten Themen können Shitstorms auslösen. Wie man als Unternehmen damit umgehen kann, erklären uns Frauke und Anne von Solidrinks, sowie Ingo und Nele von OTTO.

Solidrinks – Wir sind viele! 

Das junge Start-up Solidrinks wird für seine politische Message immer wieder angefeindet, der Hass schwappt auch offline in das Leben der Mitarbeiter*innen. Frauke und Anne sprechen darüber, welche Themen dabei besonders häufig Hass ernten und wie davon die Kommunikation beeinflusst wird. 

Kurz für die, die euch nicht kennen. Solidrinks unterstützen mit ihren Getränken soziale Projekte, richtig? 

Solidrinks gibt es seit 2016. Wir sind eine Hybridorganisation, wie es sie oft gibt in der sogenannten “Sozialwirtschaft”. Wir sind einerseits eine GmbH, die sich verpflichtet hat, alle ihre Gewinne zu spenden und andererseits gibt es einen gemeinnützigen Verein, der andere Initiativen unterstützt. Wir machen Getränke und wir verbreiten Ideen. Dabei erfinden wir Getränkeklassiker neu, um gezielt in Bereichen Aufmerksamkeit für Themen zu erregen, die dort sonst nicht stattfinden. Sei es im Supermarktregal, beim Picknick, im Büro oder im Club. 

Eure Flasche macht im Supermarktregal auf wichtige Themen aufmerksam. Wie nutzt ihr dafür eure Social-Media-Kanäle? 

All unsere Kanäle sind in erster Linie Informationsplattformen für die Arbeit der unterstützten Initiativen. Wir verstehen uns da als Mittler zwischen den Grassroots-Aktivist*innen, die nicht unbedingt Zeit dafür haben, ihre Inhalte für die Öffentlichkeit aufzubereiten. Wir kommunizieren auch über unsere Art des Wirtschaftens und versuchen verstärkt, die Flaschen mit ihren Botschaften in den Mittelpunkt zu stellen. 

Zu Beginn einer Förderperiode setzen sich die unterstützten Projekte zusammen und entwickeln Leitthemen und Sprüche, von uns “Soli-Shouts” genannt, für das ganze Jahr. Diese finden sich dann auf den Flaschen. Wir greifen diese Themen und Sprüche online auf, zum Beispiel über Fotos, die von den Flaschen gepostet werden. 

Wir versuchen zu zeigen, welche Menschen hinter unserem Produkt stehen und wollen die Menschen inspirieren, unseren Aktivismus zu übernehmen und weiterzutragen. 

Welche Erfahrungen habt ihr schon mit Hass gemacht? 

Wir haben schon oft erlebt, dass sich Menschen über Beleidigungen und schreckliche, herabwürdigende, unpassende und meist unwahre Kommentare wichtigmachen wollen und anderen Menschen das Leben damit on- und offline schwer machen. Das passiert meistens, wenn es persönlich wird. Wir haben das bisher bei Posts zum Thema Abschiebung und Bleiberecht, wenn es um konkrete Personen geht, erlebt. Oder wenn sich eine Person zeigt, die sich für eine gute Sache engagiert. Da wird sich dann oft drauf gestürzt. Das finden wir sehr erschreckend. HateAid kann da sehr hilfreich für unsere Initiativen sein! 

Unser Online-Auftritt ist für uns eine Gratwanderung. Wir versuchen die Personen hinter den Projekten zu zeigen, aber wollen auch vermitteln: Wir sind viele! Wir sind eine Gruppe und wir sind keine Einzelperson, deren Adresse man rausfinden kann, die man nach Hause verfolgen kann. So wollen wir auftreten, nachdem das tatsächlich schon vorgekommen ist.  

Wie geht ihr mit Hasskommentaren um? 

Wir handeln da im Team viel nach Bauchgefühl und je nach Kontext. Wenn wir beispielsweise auf der Seite von Dritten für unsere Arbeit angegangen werden, dann positionieren wir uns eigentlich immer. Wenn etwas auf unserer Seite gepostet wird und es einfach nur hasserfüllt und beleidigend ist, dann löschen wir das. Wenn es aber ablenkende Fragen und Kommentare, oft basierend auf Pseudo-Fakten und gespickt mit tiefverwurzeltem Rassismus sind, dann kontern wir mit Fakten und legen unsere Haltung dar. 

Dafür haben wir ein Repertoire an relevanten Links, Paragrafen und Artikel angelegt, um auf immer wiederkehrende Kommentare schnell reagieren zu können. Es ist uns wichtig, gehässige Kommentare nicht unkommentiert stehen zu lassen. 

Beeinflussen eure Erfahrungen mit Hass, was ihr postet? 

Wir fragen im Team oft mehrmals nach, wer mit Gesicht zu sehen sein will. Auch wenn wir die Menschen hinter den Initiativen zeigen wollen, sind nicht alle bereit, mit ihrem Bild im Internet zu erscheinen. Das finden wir schade, können es aber verstehen. 

Es ist für uns manchmal schwierig zu entscheiden, wann wir Plattform für unsere Initiativen bleiben und wann und zu welchen Themen wir doch selbst Stellung beziehen. Aber das hat nichts mit Hass zu tun. Wir wollen Meinungen Gehör verleihen, die oft untergehen, weil sie von marginalisierten und strukturell benachteiligten Menschen vertreten werden. Wir können aber noch lange nicht wie eine politische Organisation handeln, weil wir als Unternehmen auf unsere Kund*innen angewiesen sind. 

Vielen unserer Kund*innen passt es nicht, dass wir uns mit unseren Produkten politisch positionieren. Wir sind zum Beispiel aus dem Kühlschrank bei Konferenzen eines Bundesministeriums geflogen, weil ein Abgeordneter sich an dem Spruch “Stoppt das Sterben, nicht das Retten” gestört hat. Wir versuchen dann immer davon zu überzeugen, dass es noch keine politische Haltung ist, wenn man Menschenrechte gut findet. 

OTTO – Vom Shitstorm zum Lovestorm 

Ganz plötzlich wurden die Kanäle des Versandhandels OTTO mit Hass geflutet. Doch dahinter steckten nicht etwa unglückliche Kund*innen … Wie OTTO mit dem Shitstorm umging, welche Strategien bei der Community-Moderation helfen und welche Verantwortung Unternehmen tragen, erzählen uns Ingo und Nele. 

Was vielleicht nicht alle wissen: Für OTTO ist Diversität sehr wichtig. Warum? 

Ingo: Weil wir glauben, dass es ungemein wichtig ist, sich einem Vielfaltsthema nicht nur vordergründig zu widmen, sondern auch hintergründig etwas zu machen. Also nicht nur eine Regenbogenflagge raushängen, sondern das auch mit Taten umzusetzen. 

Das machen wir aus verschiedenen Gründen. Zum einen glauben wir fest daran, dass wir als Unternehmen schon auch einen gesellschaftlichen Auftrag haben. Wenn mehr Unternehmen sowohl in der Außen- als auch in der Mitarbeitendenkommunikation klare Statements gegen Rassismus und Ausgrenzung und für Vielfalt setzen, dann mach das langfristig auch etwas mit den Menschen. Die Kraft, die die Wirtschaft hat, darf nicht unterschätzt werden. 

Auf der anderen Seite, und so viel Transparenz und Fairness muss sein, macht man das immer auch aus einem Eigeninteresse. Weniger zum Thema Abverkauf, aber wir merken, die Menschen, die wir für einen Job bei uns begeistern möchten, stellen genau diese Anforderungen an ein Unternehmen. Da sind Fragen wie Vielfalt und Nachhaltigkeit ganz wichtige Punkte.  

Wie drückt sich Diversity bei euch auch in der Außenkommunikation aus? 

Ingo: Ehrlich gesagt müssen wir da noch besser werden. Es ist uns ein Stück weit gelungen, mit den Marketingkolleg*innen die Bildsprache partiell diverser zu gestalten. Wir haben da erstmal ganz ohne Vorwürfe die Frage gestellt: “Warum sind wir denn noch nicht so divers in der Bildsprache?” Und die Antwort war: “Stimmt eigentlich, da spricht gar nichts dagegen, da haben wir nicht drüber nachgedacht.” Und seitdem merkt man, dass sich bei den Kolleg*innen einiges verändert. Wir versuchen zu zeigen, die Welt ist bunt. Sie ist bunt, was die Sexualität betrifft, die Religion oder die Hautfarbe. 

Am Ende geht es darum, die Gesellschaft abzubilden. Mit unglaubwürdigen “übermotivierten” Stockfotos ist dabei niemandem geholfen. Es müssen wie selbstverständlich Menschen mit Kopftuch, Gay Couples oder People of Colour gezeigt werden, aber das ist noch ein weiter Weg. 

Da es auch für viele Menschen noch ein weiter Weg ist: Bekommt ihr Gegenwind? 

Nele: Ja, wir haben bei einem TV-Spot mit einem Gay Couple zum Beispiel ziemlich viel Hatespeech abbekommen, auf allen Kanälen. Auch zu Models of Colour auf unserer Website oder in Printkatalogen gibt es abwertende Kommentare. 

Letztes Jahr haben wir sehr organisiert aus der rechten Szene Hatespeech abbekommen. Über Social Media oder Mails an unsere Service-Kolleg*innen. Das hat sich dann zum Positiven gewendet, weil aus dem geplanten Shitstorm am Ende ein Lovestorm wurde. Unsere Community hat sich hinter uns gestellt und gesagt: “Das geht so nicht!” Das war wirklich cool. Da haben wir wirklich eine tolle Community, die sich mit uns für diese Themen stark macht.  

Wie war das für euch, als ihr gemerkt habt, dass da viel Hate kommt? Habt ihr schnell verstanden, dass das organisiert war? 

Nele: Ich habe das so noch nie erlebt, dass ein organisierter Angriff gegen OTTO gerichtet war. Aber man hat das sehr schnell gemerkt, da die Mails und die Formulierungen alle recht ähnlich waren. Da ich mich um Social Media kümmere und andere Kolleg*innen um die Mails, konnten wir das erst am Ende zusammenfügen. Da haben wir dann gemerkt, dass das wirklich organisiert war.  

Wart ihr zu diesem Zeitpunkt schon darauf vorbereitet und konntet souverän reagieren oder kam das eher aus der Situation heraus? 

Nele: Sowohl als auch. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt unsere Unternehmensstrategie um eine Unternehmenshaltung erweitert. Da spielen die Themen wie Vielfalt und wie wir uns dazu positionieren eine Rolle. Das war dann die Grundlage, die intern auch abgestimmt war, deshalb konnten wir dann superschnell reagieren, weil wir keine Statements abstimmen mussten, sondern gesagt haben: “Das geht jetzt hier zu weit, da wird ein Wert, für den wir uns einsetzen, bedroht und wenn wir jetzt nicht eingreifen und Konter geben, dann ist das nicht konsequent.” Deswegen war für uns relativ klar, dass wir Kante zeigen, und das haben wir dann auch gemacht und dafür positives Feedback bekommen. 

Wie sah euer Konter aus? 

Nele: Das hat sich hauptsächlich auf Twitter abgespielt. Wir haben einen Hasspost von einem anonymen Account aufgegriffen und mit einem Augenzwinkern gezeigt, dass das nicht der Gesellschaft entspricht, in der wir leben wollen und dass wir gegen Rassismus und für Vielfalt sind. 

Ingo: Gleichwohl muss man auch fragen, warum hat man da jetzt reagiert und bei anderen Posts nicht. Das ist immer Abwägungssache. Bei diesem Tweet war es so, dass der schon vorher eine hohe Reichweite hatte und wir nicht davon ausgehen mussten, dass wir dem oder der Absender*in mit einer Antwort in die Karten spielen und die Sichtbarkeit noch vergrößern. Das kann ja auch passieren, das wäre der Worst Case. Deswegen sind wir auch weit davon entfernt, jeden Kommentar zu beantworten. Das würde den Rahmen sprengen und es kann auch kontraproduktiv sein. 

Nutzt ihr die Möglichkeit, Kommentare zu Löschen oder Personen zu blockieren? 

Nele: Es kommt darauf an. Das ist erst selten passiert. Wir haben Glück, dass wir noch nicht so viel Hatespeech abbekommen haben. Wenn es wirklich beleidigend wird, verbergen wir die Kommentare meistens. Wenn es wirklich viele Kommentare gibt, dann geben wir ein Statement ab, aber antworten nicht auf jeden einzelnen Kommentar oder verstricken uns in kleinteiligen Diskussionen. Wir sind gerade intern aber auch durch den Impuls von HateAid auf unsere Rechtsabteilung zugegangen und sind im Austausch, zu gucken, ab wann wir Hatespeech zur Anzeige bringen. Einfach, um solche Kommentare nicht ohne Konsequenzen zu lassen. 

Welche Themen bekommen besonders viel Hass ab und beeinflusst das euren Posting-Plan? 

Nele: Ganz klar Diversity-Themen auf allen Ebenen. Das sind die Themen, wo man mit Fingerspitzengefühl rangehen muss, weil diese Themen scheinbar noch so polarisierend sind. Bisher wurden wir davon nicht beeinflusst, aber wir wurden sensibilisiert. Wir zeigen bewusst auch Mitarbeiter*innen, die für diese Themen stehen. Die weisen wir darauf hin, dass sie mit negativen Kommentaren rechnen müssen, wir aber als Unternehmen hinter ihnen stehen und es stark finden, dass sie Gesicht zeigen. Dass wir unsere Kolleg*innen darauf vorbereiten müssen, hat leider die Erfahrung des letzten Jahres gelehrt. 

Was könnt ihr anderen Unternehmen für ihre Social-Media-Auftritte mitgeben? 

Ingo: Ich fände es schön, wenn noch mehr Unternehmen Flagge zeigen, für Vielfalt und gegen Hass und Ausgrenzung. Die Wirtschaft und die großen Unternehmen haben schon auf Grund ihrer Wirtschaftsstärke und Visibilität extrem viel Potential, die gesellschaftliche Stimmung in dieser Richtung zu verbessern. Große Unternehmen müssen immer und immer wieder deutlich machen, dass Vielfalt besser als Einfalt ist und das auch in die Außenkommunikation und ihre Bildsprache übertragen. Und dazu gehört auch ein konsequentes Vorgehen gegen Hass im Netz.  

Vielen Dank, Frauke, Anne, Ingo und Nele für das Gespräch! 

Du hast selbst Hass erlebt? 

Unsere Betroffenenberatung kann dir weiterhelfen. Auch wir sind der Meinung, dass man aktiv gegen Hass vorgehen sollte – deswegen bieten wir eine Prozesskostenfinanzierung an. So kannst du unabhängig vom Geldbeutel deine eigenen Rechte durchsetzen. 

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