Was du gegen Doomscrolling tun kannst
Es ist 8 Uhr morgens, der Wecker klingelt. Kurzer Blick auf das Smartphone: Luftangriffe auf mehrere ukrainische Städte gemeldet. Nach dem Frühstück noch schnell die Nachrichten lesen: Die Corona-Inzidenzen steigen wieder. Auf dem Weg zur Arbeit dann noch ein bisschen Zeit auf Social Media vertreiben: Erneuter Amoklauf in den USA. Noch vor der Mittagspause wird man mit der Klimakatastrophe, der hohen Inflation, Menschenrechtsverletzungen, sexistischen Angriffen, Mord und Totschlag konfrontiert.
So oder so ähnlich geht es vielen von uns. Ständig sind wir von negativen Nachrichten umgeben. Während es einigen leichter fällt, mit negativen Informationen umzugehen, wird die Flut an schlechten Nachrichten für andere zur emotionalen Belastungsprobe. Sie konsumieren immer mehr Nachrichten, um die Lage zu überblicken und auf dem neuesten Stand zu bleiben – ein Teufelskreis.
Wenn Nachrichtenlesen zum Zwang wird
Doomscrolling heißt dieses Verhalten, bei dem Menschen fast zwanghaft negative Nachrichten lesen, obwohl es ihnen nicht guttut. Das neudeutsche Wort setzt sich aus den Teilen „Doom“ (englisch für Untergang) und „scrolling“ (dem Verschieben von Bildschirminhalten, etwa auf einem Smartphone oder Tablet) zusammen. User*innen wischen von einer Grausamkeit zur nächsten. Darum ist es auch nicht verwunderlich, dass dieses weitverbreitete Phänomen, bei dem Betroffene suchtähnliche Tendenzen an den Tag legen, gerade in Krisenzeiten eine besondere Relevanz hat.
Warum verfallen wir dem Doomscrolling?
Doomscrolling wird durch verschiedene Faktoren begünstigt. Zum einen spielen soziale Netzwerke eine nicht unerhebliche Rolle. Denn Betreibende gestalten ihre Newsfeeds inzwischen so, dass wir gar nicht mehr merken, wie viel Zeit wir mit dem Scrollen verbringen.
„Infinity Scroll“ wird dieses Designelement genannt. Es führt dazu, dass wir ständig neue Inhalte sehen – ein Fass ohne Boden. Auch die Refresh-Funktion ist nach einem ähnlichen Prinzip konzipiert: Bei jeder Aktualisierung der Timeline erscheinen weitere Inhalte. So stoßen Nutzer*innen immer wieder auf Neues, das ihr Interesse weckt.
Die Plattformen bedienen sich dabei an ähnlichen Methoden wie die Betreibenden von Casinos. Während im Casino das große Geld winken kann, ist es in der Online-Welt die nächste wichtige Information, die nur noch wenige Scrolls entfernt ist.
In beiden Fällen wird im Erfolgsfall im Gehirn der „Glücksbotenstoff“ Dopamin ausgeschüttet. In beiden Fällen kann eine Abhängigkeit entstehen.
Wie der Negativity Bias dich täuscht
Das wir so häufig mit negativen Schlagzeilen konfrontiert werden, ist vor allem auf den „Negativity Bias“ zurückzuführen – also auf eine Art Fokussierung und verstärkte Wahrnehmung negativer Ereignisse. Das menschliche Gehirn verarbeitet nämlich negative Informationen nicht nur schneller, sie bleiben uns auch länger in Erinnerung. Aus evolutionsbiologischer Sicht hat das auch einen guten Grund: Wenn wir Gefahrenquellen kennen und ihnen aus dem Weg gehen, sind wir sicherer, als wenn wir uns nur auf die positiven Seiten des Lebens konzentrieren.
In der Steinzeit war dieser Schutzmechanismus aber noch deutlich nützlicher als heutzutage. Die erhöhte Sensibilität entschied über Leben oder Tod. Heute führt die digitale Vernetzung dazu, dass der persönliche Nutzen von Informationen und der eigene Handlungsspielraum, um auf diese zu reagieren, oftmals stark begrenzt ist. Dennoch nehmen wir die Unwetterwarnung in Finnland mitunter eher wahr als die Meldung über die angenehmen Temperaturen am kommenden Wochenende in der eigenen Region.
Mehr Klicks, mehr Stress
Auch Nachrichtenredaktionen haben unlängst bemerkt, dass negative Beiträge oftmals besser ankommen. Die Folge: Mehr negative Beiträge gehen online. Es entsteht ein Übergewicht an schlechten Nachrichten. Zudem interagieren Lesende häufiger mit Beiträgen, die bei ihnen Emotionen auslösen. Daher listen Suchmaschinen diese Art von Artikeln in ihren Suchergebnissen gemäß ihren Algorithmen automatisch höher.
Für die mentale Gesundheit kann diese konstant hohe Auseinandersetzung mit negativen Ereignissen aber drastische Folgen haben. Doomscroller*innen leiden etwa unter Symptomen wie Erschöpfung, Schlafmangel, Reizbarkeit, einem schlechten Gewissen oder Abgestumpftheit. Zudem sorgt ein erhöhter Cortisolspiegel für Dauerstress. Das führt im schlimmsten Fall zu einem Burnout.
Nützliche Tipps gegen Doomscrolling
Was also tun, wenn du nicht mehr doomscrollen möchtest? Zuerst kannst du die technischen Voraussetzungen dafür schaffen, dass du dich nicht ständig in den Sog negativer Nachrichten ziehen lässt.
Wichtige Smartphone-Einstellungen, die gegen Doomscrolling helfen
Stell zum Beispiel die Push-Benachrichtigungen für bestimmte Apps auf deinem Handy aus. Wenn du dich informieren willst, dann selbstbestimmt und nicht, weil dein Smartphone gerade in der Hosentasche vibriert.
Eine weitere nützliche Einstellung kann die Einschränkung der Screentime sein. Soerhälst du einen Hinweis, dass du schon eine gewisse Zeit durch deinen Newsfeed gescrollt bist, ohne zu stoppen. So wirkst du dem Infinite Scroll entgegen, indem du dir einen „natürlichen Stopper” einbaust. Das hilft dir dabei, das Doomscrollen einzuschränken oder sogar damit aufzuhören.
Der kritische Blick auf die Medien, die du abonnierst
Du folgst vier Tageszeitungen, zwei öffentlich-rechtlichen Sendern, drei Menschenrechtsorganisationen und einer Seite, die über die Klimakrise informiert? Vielleicht ist es auch mal wieder an der Zeit, deine Abonnements anzupassen. Schaue beispielsweise aktiv nach Content und Netzwerken, die den Fokus auf „Good-News“ legen, oder abonniere mehr Nachrichtenseiten, die sich dem konstruktiven, lösungsorientierten Journalismus verschrieben haben.
Sorge einfach dafür, dass das Verhältnis zwischen (negativen) Nachrichten und anderen, positiven Inhalten für dich persönlich passt. Da kann es auch gerne mal wieder ein bisschen mehr von deinem liebsten Katzen-Content sein.
Reflektiere, wie es dir geht
Noch wichtiger ist es, dass du lernst, das Gelesene richtig einzuordnen und du dir persönliche Grenzen setzt. Halte dir vor Augen, dass es in den Nachrichten einen „Negativity-Bias“ gibt. Dieser lässt die Realität schlimmer erscheinen als sie eigentlich ist. Du bist auch nicht rücksichtslos oder ignorant, wenn du die Probleme der Welt nicht zu deinen eigenen machst. Niemandem ist geholfen, wenn du unter dem Konsum von negativen Nachrichten leidest.
Ziehe Grenzen, um dich zu schützen
Du möchtest nicht ganz verzichten und informiert bleiben? Lege bestimmte Zeiten, Tage und Orte fest, an denen du aktiv das Weltgeschehen verfolgst. Bestimme etwa einen Stuhl, in den du dich jeden zweiten Wochentag um 19 Uhr setzt, um 20 Minuten lang die Nachrichten zu lesen. Dadurch kannst du klare persönliche Grenzen ziehen und auch eine Art räumliche Trennung zu negativen Inhalten schaffen.
Ähnlich kannst du das auch im Digitalen gestalten: Unterschiedliche Konten können dir helfen, dich abzugrenzen. Ein Konto für Inhalte, die deiner Unterhaltung dienen und ein Konto, in das du dich einloggst, wenn du das Bedürfnis hast, dich zu informieren. So vermeidest du, dass zwischen den Urlaubsfotos deiner Freunde negative Schlagzeilen aufpoppen.
Du brauchst professionelle Hilfe?
Wenn du allerdings das Gefühl haben solltest, dass dir die genannten Tipps nicht helfen und du dir ernsthafte Sorgen um deinen Nachrichtenkonsum machst, zögere nicht, dir professionelle Unterstützung zu suchen. Ein paar Anlaufstellen haben wir hier für dich aufgelistet:
- Telefon-Seelsorge: 0800 1110111 oder 0800 1110222
- Info-Telefon der Deutschen Depressionshilfe: 0800 3344533
- Nummer gegen Kummer: 0800 1110550