Du bist von digitaler Gewalt betroffen? 

Wir sind für dich da!

Schreibe eine E-Mail an:

beratung@hateaid.org 

Rufe uns in den Sprechzeiten an:

030 / 252 088 38

Mo 10 – 13 Uhr | Di 15 – 18 Uhr | Do 16 – 19 Uhr

Chatte mit uns:* Mi 15 – 18 Uhr | Fr 11 – 14 Uhr

Melde Hass über unser Formular:

Zum Meldeformular 

Dickpic erhalten?

Erstatte direkt eine Anzeige! 

 



Helft mir!
Ärztin sitzt niedergeschlagen auf Fußboden

Hass im Netz gegen Ärzt*innen in der Corona-Pandemie

Kaum zu fassen, womit Ärzt*innen es inmitten der fünften Corona-Welle derzeit zu tun haben: Patient*innen, die bei ihrem Besuch in der Praxis handgreiflich werden, Morddrohungen im Praxis-Postfach und Vergleiche mit dem NS-Arzt Mengele in den Kommentarspalten auf Social-Media-Plattformen. Immer mehr Ärzt*innen werden von Impfgegner*innen und Querdenkenden angegriffen. Dafür, dass sie sich für das Impfen aussprechen und die Corona-Maßnahmen konsequent durchsetzen. Wir haben mit den Ärzt*innen Marc Hanefeld, Natalie Grams-Nobmann und Wolfgang von Meißner gesprochen, die sich trotz der Flut an Anfeindungen einig sind, dass sie sich durch die Angriffe nicht mundtot machen lassen. 

Der Hausarzt und frühere Intensivmediziner Marc Hanefeld hat sich vor einigen Jahren in einer Kleinstadt in Norddeutschland mit seiner Praxis niedergelassen. In unseren Interviewtermin per Video wählt er sich zwischen den eng getakteten Sprechzeiten ein. Man merkt, wie wichtig es ihm ist, auf die derzeitige Lage aufmerksam zu machen. Er weiß, dass die Hater*innen laut sind. Er weiß aber auch, dass seine Stimme wichtig ist, um auf diese Schieflage aufmerksam zu machen. 

Hass und Hetze im Praxis-Postfach

„Es müssen Köpfe rollen”, „Ihr seid so abartige Bestien!” Direkt zu Beginn des Gesprächs liest er eine Auswahl der Dutzenden Hasskommentare und privaten Nachrichten der letzten Monate vor, in denen er, sein Team und seine Kolleg*innen für ihr Impf-Engagement angeprangert werden: „Ihr werdet noch genug Zeit haben, darüber nachzudenken, wenn ihr in der Hölle schmort.”, „Sie werden bis an Ihr Lebensende im Gefängnis sitzen, weil ihr Psychopathen wegen der normalen Scheißgrippe unser aller Gesundheit und Zukunft in Schutt und Asche legt!” Bei manchen der Kommentare schmunzelt er kurz, dann wird er wieder ernst: „Das ist ja schon fast Realsatire”, sagt er in einer Pause zwischen all den Hasskommentaren. „Aber bei all diesen Drohungen ist mir nicht nach Lachen zumute.” 

Wie er vor Kurzem erfahren hat, wird sein Name auch regelmäßig in Telegram-Chats rechtsextremer Gruppierungen genannt. Die Auswirkungen bekommt er deutlich zu spüren: „Wenn dein Name in einer solchen Gruppe fällt, heißt das so viel wie ‚Haut drauf!’. Das Resultat sind Beleidigungen auf Social-Media-Plattformen, schlechte Google-Bewertungen oder Bedrohungen anderer Art“, erklärt Hanefeld. Die meisten Accounts, die ihn angreifen, sind anonym, können schwer zurückverfolgt werden. Es sind direkte oder indirekte Gewaltaufrufe, die manchmal öffentlich, manchmal halb-öffentlich in geschlossenen Facebook-Gruppen oder privat per Nachricht an ihn und seine Praxis geschickt werden. Derzeit hat er rund 30 Anzeigen gegen Unbekannt laufen. Gegen Angreifer*innen, die ihn und sein Personal im Netz bedrohen, aber auch gegen Menschen, die sich per Telefon mit Drohungen melden.

Ich lasse mich nicht unterkriegen und mache weiter. Ich sehe auch, womit es meine Kolleg*innen zu tun haben – ein befreundeter Arzt hat zum Beispiel über 300 Anzeigen laufen”, berichtet Hanefeld.

Medizinische Vorträge mit Polizeischutz

Eine Ärztin bei der Arbeit.
Medizinisches Personal ist on- und offline während der Pandemie besonders stark Hass und Hetze ausgesetzt. Foto: Unsplash

Auch die Ärztin und Autorin Natalie Grams-Nobmann beobachtet derzeit besorgt, wie aggressiv der Ton gegenüber engagierten Mediziner*innen in der Corona-Pandemie geworden ist. „Ich habe ja schon weit vor der Pandemie digitale Gewalt erlebt. Als Ärztin, die sich gegen Homöopathie ausspricht, erhalte ich schon seit Jahren Hassnachrichten und Drohungen”, erzählt sie. Über die Jahre ist sie zu einer lauten Stimme im medizinischen Diskurs geworden. Sie äußert sich öffentlich in Kolumnen, Tweets, Podcasts und im Fernsehen zu kritischen Themen. Teilweise ging der Hass gegen sie in der Vergangenheit so weit, dass sie mit Polizeischutz oder Anwalt zu Vorträgen anreisen musste.  

Nun beobachtet sie, dass der Hass gegen ihre Kolleg*innen, die in der Corona-Pandemie alles für ihre Patient*innen geben, überhandnimmt. „Gerade Kolleg*innen, die sich gemäß der Stiko-Empfehlung auch für eine Kinder-Impfung ausgesprochen haben, bekommen krassen Hass ab. Einfach, weil das Thema in Verbindung mit Kindern noch emotionaler ist”, erklärt sie.

Das, was wir abbekommen, reicht von haltlosen Beleidigungen wie ‘Kindermörderin’, ‘Kinderquäler’ bis hin zu realen Bedrohungen in der Praxis. Ärzt*innen wird plötzlich von Querdenkenden ihre Expertise abgesprochen, weil sie impfen. Das ist nicht mehr postfaktisch, sondern antifaktisch. Es ist ein neuer Höhepunkt an Absurdität.”

Massive Angriffe wegen der Kinder-Impfung

Auch der Hausarzt Dr. Wolfgang von Meißner wird mit solchen Angriffen konfrontiert, weil er sich offen für die Kinder-Impfung ausspricht. Immer, wenn er sich öffentlich in den Medien zu Corona-Themen äußert, kann er davon ausgehen, kurz darauf angefeindet zu werden. „Meine Aussagen werden oftmals direkt nach der Ausstrahlung im Fernsehen in Telegram-Gruppen geteilt. Dort wird dann zu Hass & Hetze aufgerufen. Zum Beispiel dazu, mich schlecht auf Google zu bewerten. Oder meinen Instagram-Account mit beleidigenden Kommentaren zu fluten”, berichtet der Hausarzt. „Und wenn ich die Kommentarfunktion zu meinem Schutz ausschalte, erreichen mich über 100 private Nachrichtenanfragen”, fügt er hinzu. Er selbst kann sich in seinem Alltag gar nicht um all die Beleidigungen, Hasskommentare und Drohungen kümmern. Sein Anwalt springt hier ein und sorgt auch gemeinsam mit HateAid dafür, dass Verfasser*innen von justiziablen Inhalten zur Rechenschaft gezogen werden.  

Von Meißner spricht sich für die Kinder-Impfung aus. Eltern aus der ganzen Welt reisen zu ihm nach Baiersbronn, weil sie ihre Kinder schützen möchten. Dafür erntet er Kommentare, die ihn sprachlos machen: „Auch Sie werden nach den Nürnberger Prozessen am Galgen baumeln. Nazi-Arzt.” Dass sich Menschen melden, die solche Bezüge herstellen, macht ihn betroffen. Aber das hindert ihn nicht daran, weiterzumachen:

Man darf keinen dieser Kommentare unwidersprochen lassen. Wir müssen mit allen Mitteln, die uns rechtsstaatlich zu Verfügung stehen, dagegen vorgehen.”

Noch keine offizielle Statistik

Die Landesärztekammer Baden-Württemberg erklärt auf Anfrage von HateAid, dass sie von Ärzt*innen im Land Ähnliches hören wie von Dr. von Meißner in Baiersbronn. Noch sind es dem Pressesprecher Dr. Oliver Erens zufolge Einzelfälle. Betroffene Ärzt*innen und ihr Personal berichten der Kammer davon, dass es in ihren Praxen vor allem mit Blick auf die Corona-Schutzimpfung, die Maskenpflicht oder Corona-Maßnahmen zu Diskussionen, Streitgesprächen und verbalen Auseinandersetzungen mit Patient*innen käme. Zum Teil sei hier auch hohes Aggressionspotential zu beobachten. Den Ärzt*innen und ihren Teams empfiehlt die Kammer, Fälle von Gewaltandrohung und -anwendung konsequent strafrechtlich verfolgen zu lassen. 

Auch bei der Bundesärztekammer (BAK) melden sich impfende Ärzt*innen, die beschimpft und bedroht werden. Bislang führe die Kammer noch keine Statistik über Gewalt und Aggressionen gegenüber impfenden Ärzt*innen. Jedoch falle intern auf, dass sich immer mehr Ärzt*innen für Fortbildungen interessierten, in denen Gewaltprävention gelehrt wird. Berichten von Ärzt*innen aus dem Bundesgebiet zufolge sei körperliche Gewalt in Praxen keine Seltenheit mehr. Die erfordere mitunter sogar Polizeischutz für das Personal. „Wir brauchen eine klare gesellschaftliche Ächtung von Aggression und Gewalt gegen Menschen, die anderen Hilfe zukommen lassen”, erklärt der BAK-Pressesprecher Samir Rabbata abschließend per E-Mail.

Ein Mann in Pflegerkleidung, der erschöpft aussieht.
Viele Ärzt*innen leiden unter den täglichen Anfeindungen. Foto: Unsplash

Schutz vor digitaler Gewalt für Ärzt*innen

Für Natalie Grams-Nobmann ist es ein paradoxes Phänomen, dass Ärzt*innen seit Monaten so dermaßen unter Beschuss stehen.

Ärzt*innen, die impfen, tun das, weil sie, auch rein wissenschaftlich betrachtet, davon überzeugt sind, den Menschen etwas Gutes zu tun. Es gibt keine logische Erklärung dafür, dass man dafür mit so viel Hass überschüttet wird”, so Grams-Nobmann.

Da für sie als Homöopathie-Kritikerin digitale Gewalt leider seit Jahren zum Alltag gehört, hat sie für sich selbst Strategien entwickelt, um mit dem Hass umzugehen und sich so gut es geht zu schützen. Schon früh ließ sie ihre Meldeadresse sperren. Sie schaltete ihre Website ab und stellte sicher, dass sie nur indirekt über ihren Verlag oder die Plattformen kontaktiert werden kann, für die sie schreibt und podcastet.

Trotzdem dringen wüste Beschimpfungen wie „Du Pharma-Schl*mpe wirst doch von der Pharmaindustrie bezahlt!” noch immer zu ihr durch. Und die Präsenz der Hater*innen im Netz bleibt eine große emotionale Bürde. So wie für viele andere Ärzt*innen in ganz Deutschland. „Die Bedrohungslage derzeit ist so groß, dass politisch endlich etwas passieren muss”, sagt Nobmann. 

Betroffen von Online-Hass in der Corona-Pandemie?

Die HateAid-Beratung steht dir zur Seite!

Inmitten der Corona-Pandemie werden immer mehr Ärzt*innen, Pfleger*innen und andere Engagierte, die sich für unsere Gesellschaft einsetzen, angegriffen. Unsere Beratung ist für Betroffene da. Im Interview erzählt unsere Betroffenenberaterin Clara Taruba, wie sie die Situation derzeit wahrnimmt und was sie Menschen rät, die derzeit von Hass im Netz betroffen sind.

Weiterhin engagiert für die Sache

Deutschland steckt mitten in einem neuen Höhepunkt der Pandemie, die psychischen Belastungsgrenzen sind schon lange erreicht. Landärzt*innen hetzen von Sprechstunde zu Sprechstunde, Intensivmediziner*innen schieben Überstunden auf Krankenhaustationen, um ihre Patient*innen zu versorgen. Beleidigende Kommentare zu verfolgen, diese rechtssicher zu dokumentieren und sie zum Beispiel in die Hände von HateAid für eine mögliche Strafverfolgung zu geben, kostet immer noch Zeit und Nerven.  

Und trotz all dieser Belastungen werden Ärzt*innen wie Hanefeld im niedersächsischen Bremervörde nicht leiser, im Gegenteil. „Ich lasse mich nicht unterkriegen”, sagt Marc Hanefeld mit entschiedener Stimme im Videogespräch.

Ich werde mich weiterhin für eine höhere Durchimpfung einsetzen, das ist die beste Antwort auf die Pandemie. Denn man muss die Menschen auch dazu bringen, einer gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen.”

Die Vernunft wird siegen

Wolfgang von Meißner erfährt viel Rückhalt von seinen Patient*innen, von den Menschen, die in Baiersbronn leben und auch von User*innen im Netz. „Mir tut es gut, dass andere Nutzer*innen reagieren, wenn ein negativer Kommentar auf meinem Profil landet und sie mich verteidigen”, sagt er. Die Polizei riet ihm in der Vergangenheit, dass er sich auch aus der Öffentlichkeit zurückziehen könnte. „Dann hört das alles auf, sagten sie. Aber das ist nicht meine Wesensart. Ich bin weiter aktiv. Gerade, weil es Organisationen wie HateAid gibt, die das ermöglichen und mit Blick auf den Umgang mit Hasskommentaren helfen”, so Meißner.  

Das sieht auch Natalie Grams-Nobmann so:

Es darf nicht sein, dass sich die Stimmen der Vernunft, die der Wissenschaft, zurückziehen und leiser werden. Ich bin hier unerschütterlich: Die Aufklärung hat sich immer durchgesetzt. Auch, wenn es hart war. Letztlich war es die Vernunft und ein guter Umgang, die gesiegt haben. Als Gesellschaft sind wir stark. Diese Stärke kommt nicht von ungefähr. Die müssen wir halten. Und das können wir alle tun.”

Bleib engagiert und auf dem Laufenden mit dem HateAid Newsletter!

Du erhältst alle zwei bis vier Wochen Neuigkeiten rund um unsere Arbeit und erfährst, wie du die Online-Welt ein kleines Stückchen besser machen kannst.



    Bitte fülle noch das Captcha aus*

    Captcha
    7 * 2 = ?
    Reload

    Mehr Infos in unserer Datenschutzerklärung. *