#HessenGegenHetze: Wenn die Polizei vor deiner Tür steht
Stell dir vor, es ist ein ganz normaler Mittwochmorgen, du steigst gerade aus der Dusche, frühstückst, fütterst deine Katze … Vielleicht liegst du sogar noch im Bett. Dann klingelt es plötzlich an der Tür. Du öffnest und vor dir stehen drei Polizist*innen mit einem Durchsuchungsbeschluss für deine Wohnung.
Am 24. Februar ist das zehn Männern und einer Frau in Hessen passiert. Waren sie überrascht? Ja. Denn die meisten von ihnen waren sich sicher, nichts Unrechtes getan zu haben.
Dem war aber nicht so: Gegen alle elf Beschuldigten laufen aktuell Ermittlungsverfahren. Alle haben auf Social-Media-Plattformen – vor allem auf Facebook – Postings und Kommentare verfasst oder geliket, die strafbar waren. Und damit haben sie sich selbst strafbar gemacht, denn: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum!
Aber beginnen wir von vorne…
Aktionstag #HessenGegenHetze
Unser steter Appell: Wenn du auf Social-Media-Plattformen mutmaßlich strafbare Inhalte siehst, melde sie und zeig sie an! Dass das wirkt, mussten die elf Beschuldigten erfahren.
Alle Meldungen, die zu den Strafverfahren geführt haben, kamen aus der Zivilgesellschaft. User*innen wie du haben die Inhalte also gemeldet. Nachdem die strafrechtliche Relevanz der Äußerungen überprüft wurde, hat die Generalstaatsanwaltschaft Hessen die Ermittlungserfahren eingeleitet. Kurze Zeit später hatte das LKA die Beschuldigten identifiziert – die vermeintliche Anonymität des Internets hat ihre Grenzen! Gut zu wissen, oder?
Für den Aktionstag #HessenGegenHetze wurde daraufhin eine koordinierte und gleichzeitige Aktion geplant: Alle Durchsuchungen sollten zur gleichen Zeit stattfinden.
Um 6 Uhr morgens – nach Ende der Nachtruhe und vor Beginn des Arbeitstages – standen jeweils bis zu drei Polizist*innen vor den Wohnungen der Beschuldigten. Die Täter*innen mussten ihre IT-Geräte (Handys, Laptops, Tablets, PCs) entsperren und den Polizist*innen zur Beweissicherung zur Verfügung stellen. Fast überall zeigte sich dabei das gleiche Bild: Geschockte, peinlich berührte und meist durchaus kooperative Personen, die nicht fassen konnten, dass ein Post zu einer Wohnungsdurchsuchung durch die Polizei führt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Hessen erzählte uns später, dass sie diese Reaktion bereits kennt: Täter*innen sind immer wieder geschockt, dass digitale Gewalt genauso geahndet wird, wie analoge Gewalt. „Aber ich habe doch nichts geklaut!“. Nein, hast du nicht. Aber du hast jemanden beleidigt, verleumdet oder ein Verbrechen gebilligt. Und ja: Damit hast du dich strafbar gemacht!
Wie ging es nun weiter?
Nicht alle Beschuldigten waren sofort geständig. Das führte dazu, dass besagte IT-Geräte sichergestellt wurden. Ungünstig, wenn man gerade zu Coronazeiten auch noch auf Handy, PC oder Laptop verzichten muss. In einigen Fällen werden die Geräte später, quasi als Nebenstrafe, auf den Staat übergeleitet und sind damit weg.
Doch welche Kommentare waren das genau, die die Beschuldigten gepostet hatten? Die Bandbreite an strafbaren Kommentaren im Netz ist riesig. Im Falle der Beschuldigten vom Aktionstag #HessenGegenHetze handelte es sich um Kommentare, die den Mord an Walter Lübcke oder die Gewalttat von Hanau billigten – die Billigung von Straftaten ist nach § 140 StBG strafbar und kann mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe geahndet werden! Einige der Kommentare nahmen wohlwollenden Bezug auf den NSU oder hetzten gegen Geflüchtete und Parteien. Alles strafbare Inhalte.
Daumen hoch für Konsequenz: In einem Fall handelte es sich um ein Like, das der*die Beschuldigte an einen Kommentar mit strafbarem Inhalt vergab. Auch das Liken von strafbaren Äußerungen kann strafbar sein – es ist nichts anderes, als wenn du Straftaten im analogen Leben billigst!
Was erwartet die Beschuldigten nun?
Niemand der Täter*innen war vorbestraft – das kommt ihnen natürlich zugute. Zum Ausmaß des Strafmaßes kann bisher noch nicht allzu viel gesagt werden. Äußerungsdelikte können sowohl mit Freiheits- als auch mit (empfindlichen!) Geldstrafen geahndet werden, wenn das Verfahren vor Gericht endet. Beim Tatbestand Volksverhetzung gibt es sogar ein Mindeststrafmaß von drei Monaten Freiheitsstrafe! Als Nebenstrafe droht den Beschuldigten zudem der Einzug der IT-Geräte.
Die Generalstaatsanwaltschaft Hessen muss jetzt für jeden Fall einzeln prüfen, welches Strafmaß tat- und schuldangemessen ist. Auf die Beschuldigten warten bis zu ihren Prozessen oder der Einstellung des Verfahrens (oft in Verbindung mit Geldstrafen oder Sozialstunden) wohl einige schlaflose Nächte. „Und alles nur wegen eines Facebook-Posts …“ Nein! Eben nicht. Äußerungsdelikte, also Beleidigungen, üble Nachrede, Verleumdung, oder Bedrohungen und Volksverhetzung sind im Internet genauso strafbar wie im analogen Leben. Und das ist etwas, das die elf Beschuldigten hoffentlich (auf schmerzhafte Art und Weise) gelernt haben.
Unsere Kooperation mit der Generalstaatsanwaltschaft Hessen
Die Generalstaatsanwaltschaft Hessen verfügt über die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität, kurz ZIT. Der Aktionstag #HessenGegenHetze soll in den nächsten Jahren wiederholt werden. Denn er zeigt ganz deutlich: Digitale Gewalt ist Gewalt. Und Gewalt muss im Netz wie auch im analogen Leben geahndet werden. Wir von HateAid kooperieren mit der ZIT und bedanken uns an dieser Stelle für die Durchführung des Aktionstages! Auch unsere App MeldeHelden ist aus dieser Kooperation entstanden.
Du brauchst Hilfe?
Der Aktionstag #HessenGegenHetze hat eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig es ist, Hass im Netz zu melden. Wenn du selbst von digitaler Gewalt betroffen bist, dann kannst du dich natürlich auch immer direkt an uns wenden. Wichtig ist es, dass du potenziell strafbare Inhalte mithilfe rechtssicherer Screenshots sicherst. Mit dem gesicherten Material kannst du dich dann direkt an uns wenden und wir stehen dir mit unserer kostenlosen Betroffenenberatung unterstützend zur Seite.
Auch du willst aktiv werden gegen Hass im Netz?
Kein Problem! Es gibt viele Möglichkeiten, wie du dich für ein sicheres Internet für alle engagieren kannst. Eine dieser Möglichkeiten ist neben Melden eine Spende an uns: Damit sorgst du dafür, dass unsere Betroffenenberatung und Prozesskostenfinanzierung auch in Zukunft schnell und kostenlos den Betroffenen von digitaler Gewalt helfen kann. Hier kommst du zu unserem Spendenformular – danke, dass du mithilfst!