Bildbasierte Gewalt im Internet: Von Dickpics und Deepnudes
„Hey, lächle mal!” sagt deine Freundin und macht ein Foto mit ihrem Smartphone. Eine Social-Media-Plattform fordert dich auf: „Teile doch mal wieder ein Selfie mit deinen Friends und zeig, was du gerade machst”. Mini-Kameras, die so klein wie eine Walnuss sind. Apps, die es dir ermöglichen, dein Gesicht in ein anderes Bild zu kopieren und das ganz realistisch aussehen zu lassen … Das Internet ist voll von Bildmaterial und es werden immer mehr Technologien entwickelt, mit denen du Fotos machen oder diese bearbeiten kannst. Mit dieser Entwicklung ergeben sich nicht nur neue Möglichkeiten, sondern auch neue Gefahren: Bildbasierte Gewalt trifft viele Menschen und bedroht uns als ganze Gesellschaft.
Was ist bildbasierte Gewalt?
Der Missbrauch von Bild- oder Videomaterial ist ein Phänomen digitaler Gewalt, das bereits weitverbreitet ist und sich stetig entwickelt. Unter den Begriff „bildbasierte digitale Gewalt” fallen verschiedene Formen der missbräuchlichen Verbreitung, Verwendung oder Beschaffung von fremdem Bildmaterial mit Hilfe von digitalen Technologien.
Gewalt durch Bilder: So kann sie aussehen
Bildbasierte Gewalt tritt in unterschiedlichen Formen auf. Für Betroffene können diese aber ähnliche Konsequenzen haben: Angst, Scham, Erniedrigung, Diskriminierung, das Gefühl von Machtlosigkeit oder Unsicherheit. Es ist wichtig, über die unterschiedlichen Phänomene aufzuklären. Nur so können Betroffene ihre Erfahrung einordnen, um sich dann dagegen zu wehren. Diese Formen solltest du kennen:
Bilder und Videos ungefragt machen und veröffentlichen
Da mittlerweile nahezu jedes Smartphone eine gute Kamera besitzt, ist es sehr leicht, Fotos oder Videos von anderen Menschen zu machen. Das bedeutet auch, dass fremde Menschen das machen können. Grundlegend ist das nicht verboten.
Wenn es sich aber um Bildaufnahmen in besonders sensiblen Räumen, wie öffentliche Toiletten oder Umkleideräume, handelt, dann verletzt das deinen höchstpersönlichen Lebensbereich und ist nach § 201a StGB strafbar. Darunter fällt auch das unbefugte Fotografieren, dass die Hilflosigkeit eines Menschen zur Schau stellt oder dem Ansehen der Person schadet.
Das Veröffentlichen von Fotos oder Videos ohne die Zustimmung der abgebildeten Person, ist dagegen in der Regel strafbar. Niemand darf deine Bilder einfach ins Netz stellen oder sie in Chatgruppen verbreiten.
Das regeln unterschiedliche Gesetze, aber es gibt Ausnahmen, wie z.B. bei Personen des öffentlichen Lebens. Es kommt in beiden Situationen auf bestimmte Aspekte an, die das ungefragte Aufnehmen und Veröffentlichen von Bildern strafbar machen. Im Einzelfall entscheidet ein Gericht.
Deepfakes: Verfälschte Bilder im Netz
Vielleicht erinnerst du dich noch daran, als Franziska Giffey 2022 mit einem gefälschten Vitali Klitschko telefoniert hat? Oder an den Instagram-Filter, bei dem du Porträtfotos von deiner Familie in tanzende Weihnachtselfen kopieren konntest? Beide Situationen können mit dem Begriff Deepfakes beschrieben werden.
Mit Hilfe von Deepfake-Programmen, wie Face Swap Apps, können mittlerweile Gesichter, Stimmen oder Körper in fremdes Bild- und Tonmaterial eingefügt werden. Während das mit den Weihnachtselfen ja noch ganz witzig ist, zeigt der Fall von Giffey, wie gefährlich diese Technologie sein kann.
Die Fälschung von Video, Ton und Bildern ist für die Betroffenen häufig höchst unangenehm und beängstigend. Wer ist schon gerne ungefragt in einem völlig falschen Kontext zu sehen oder zu hören?
Aber es bedroht auch uns als ganze Gesellschaft. Die Manipulation der öffentlichen Meinung durch politische Propaganda, der Verlust in das Vertrauen in die Menschen, die dort abgebildet werden, in Sicherheitssoftwares und in digitale Räume, geht mit der neuen Technologie einher.
Deepnudes: Wenn dich KI auszieht
Deepnudes sind eine Form von Deepfakes. Deepnudes sind gefälschte Bilder, bei dem du in einem ganz gewöhnlichen Bild von dir quasi ausgezogen wirst. An dem Foto ist alles echt bis auf deinen Körper, der nackt oder in Unterwäsche dargestellt wird. So stehst du plötzlich entblößt auf einer Konferenz, im Klassenraum oder im Büro. Die Technologien dafür sind frei verfügbar und leicht zu bedienen.
Dickpics und Vulvapics: Nicht einvernehmlich verbreitete Bilder
Ungefragte Dickpics, Fotos von einem Penis, sind auf Online-Plattformen mittlerweile gang und gäbe.
Auch das Verschicken von Fotos einer Vulva ohne Konsens ist Realität. Vor allem Frauen müssen immer wieder ungewollt Intimbilder anschauen.
Diese Bilder lösen bei Betroffenen Ekel, Schock, Scham oder Erniedrigung aus. Aber diese Taten sind strafbar nach dem § 184 StGB und du kannst dich dagegen wehren. Die Seite Dickstinction hilft dir dabei.
Revenge Porn: Gewaltige Rache
Hast du schonmal ein Nacktbild von dir verschickt? Gerade in Partner*innenschaften wird so etwas häufig gemacht. Aber auch auf Online-Dating-Apps oder in netten Chat-Gesprächen ist der Austausch von intimen Bildaufnahmen weitverbreitet.
Doch dann trennst du dich von deiner*m Partner*in oder antwortest deinem Chat-Kontakt nicht mehr. Die Person fühlt sich verlassen, ist wütend, hilflos oder will dir ihre Macht beweisen: Sie lädt dein einvernehmlich verschicktes Foto ungefragt auf eine Pornoplattform …
Das nennt sich revenge porn im Englischen und meint Rache-Porno. Täter*innen veröffentlichen aus Rache und ohne Zustimmung Nacktbilder oder -videos. Auf vielen Pornoseiten gibt es sogar schon die Kategorie „revenge porn”.
Seit 2021 sind Rachepornos strafbar und fallen unter den Strafbestand Cyberstalking. Für Betroffene ist es nicht nur psychisch schwer, sich gegen diese Form der digitalen Gewalt zu wehren: Die Pornos aus dem Internet zu entfernen, ist häufig kaum möglich. Das zeigt auch unsere Recherche auf Pornoplattformen.
Mittlerweile brauchen Täter*innen nicht mal mehr echte Nacktaufnahmen. Deepfake-Technologien ermöglichen es, Betroffene verfälscht in einem pornografischen Kontext darzustellen.
Straftaten mit bildbasierter Gewalt
Diese spezifischen Formen der bildbasierten Gewalt gehen in vielen Fällen mit anderen Straftaten einher. Dazu zählen unter anderem Bedrohung, Cyberstalking, Erpressung, Nötigung oder Verleumdung.
Du solltest Vorfälle von bildbasierter Gewalt in jedem Fall auf Strafbarkeit prüfen lassen. Unsere Beratung unterstützt dich dabei.
Diese unterschiedlichen Gewalterfahrungen können alle Menschen machen. Personen des öffentlichen Lebens sind allerdings stärker gefährdet, da es von ihnen viel freiverfügbares Bildmaterial gibt.
Obwohl Menschen schon lange durch bildbasierte Gewalt angegriffen werden, diskutiert die EU erst seit 2022 über mögliche Richtlinien und Schutzmaßnahmen. Auch in der Forschung fehlt das Thema weitestgehend, weswegen es keine konkreten Zahlen zu Betroffenen und den Taten gibt.
Individuell betroffen, gesellschaftlich relevant
Sätze wie „Ist doch nur ein Foto”, „Das guckt sich schon niemand an” oder „Das Meme ist doch lustig gemeint”, sind Sätze, die Betroffene von bildbasierter Gewalt häufig hören müssen. Doch es sind Bilder und Videoaufnahmen, die Gefühle der Machtlosigkeit, der Scham oder der Erniedrigung auslösen. Es sind reale Gewalterfahrungen für die Betroffenen.
Doch bildbasierte Gewalt betrifft nicht nur sie allein, sie geht uns als ganze Gesellschaft etwas an. Das zeigt sich zum Beispiel,
- wenn durch Deepfakes Verleumdung, Desinformationskampagnen, Phishing-Angriffe oder der Vertrauensverlust in Sicherheitssoftwares ausgelöst wird. Denn das bedroht demokratische Prozesse, wie freie und faire Wahlen oder das Recht auf Information.
- Oder wenn Fotos von Menschen in sensiblen Situationen einfach veröffentlicht werden. Das ist eine Gefährdung des Sicherheitsgefühls aller Menschen, die in unserer Gesellschaft leben.
Bildbasierte Gewalt wird also genutzt, um Betroffene zu erniedrigen, zu erpressen oder zu verängstigen. Und gleichzeitig auch, um soziale Machtverhältnisse, das gesellschaftliche Miteinander und Strukturen für ein friedliches Zusammenleben zu stören oder zu zerstören.
Sexualisierte Gewalt mit Bildern: Es trifft vor allem Frauen
Sexualisierte bildbasierte Gewalt stellt einen großen Bereich innerhalb des Phänomens dar, der in hohem Maße gesellschaftlich relevant ist. Von dieser Unterform sind besonders häufig Frauen betroffen: Täter*innen werden durch Frauenhass und misogyne Weltansichten angetrieben und wollen mit bildbasierter Gewalt patriarchale Verhältnisse verteidigen. Diese Gewalt gegen Frauen ist ein massiver Angriff auf unsere Demokratie.
Sowohl weiblich gelesene Privatpersonen als auch berühmte Frauen sind verhältnismäßig stark von dieser Gewalt betroffen. Der Angriff auf diese Frauen, auf Politikerinnen, Journalistinnen oder Wissenschaftlerinnen zielt darauf ab, ihnen ihre gesellschaftliche Position abzusprechen, sie einzuschüchtern und zu verdrängen. Damit zeigen die Täter*innen ihre (vermeintliche) Macht und Kontrolle über den Körper und das Leben der Frauen.
Patriarchale Unterdrückung betrifft nicht nur cis Frauen. Weiblich gelesene Körper trifft die Herabwürdigung durch Sexualisierung und Machtverhältnisse gleichermaßen. Queere Menschen müssen bei bildbasierter sexualisierter Gewalt mitgedacht werden. Dazu fehlt es aber leider häufig an Studien und konkreten Zahlen.
Nacktheit zurückholen
Es gibt unterschiedliche Wege und Mittel, wie Nacktheit im Netz mit sexueller Selbstbestimmung einhergehen kann. So war die Plattform OnlyFans für viele eine gute Erfahrung, ihre Nacktaufnahmen selbstbestimmt ins Netz zu stellen. Auch feministische Pornografie versucht, einen Gegenpol zu bildbasierter sexualisierter Gewalt zu bilden. Es gibt Wege, wie einige Beispiele zeigen, mit denen Konsens, Selbstbestimmung, Schutz vor Gewalt und die anonyme Nutzung des Internets verbunden werden können.
Aktueller denn je: Bedrohungen durch Fotos und Videos
Bildbasierte Gewalt ist kein neues Phänomen, scheint aber aktueller denn je:
Dickpics im Fernsehen
2021 vergaben Joko und Klaas in der Hauptsendezeit auf einem großen Privatsender 15 Minuten an Palina Rojinski und Sophie Passmann mit dem Thema Gewalt gegen Frauen. Sie sprechen unter anderem die Gewalt durch Dickpics an.
Unser Facebook-Grundsatzprozess
Renate Künast gewann gemeinsam mit HateAid 2022 einen Grundsatzprozess gegen Facebook, bei dem es auch um ein verleumdendes Meme von Künast ging.
Das neue Gesetz gegen digitale Gewalt
Das neue Gesetz gegen digitale Gewalt in Deutschland wurde im April 2023 erstmals vorgestellt. Wir fordern von den Politiker*innen unter anderem, dass die ungewollte Verbreitung von Nacktaufnahmen darin stärker in den Blick genommen und geahndet wird.
Schmerzensgeld für Rache-Porno
1,2 Milliarden Dollar Schmerzengeld: So viel erhielt im August 2023 eine Frau, die ihren Expartner wegen eines Rache-Pornos anzeigte.
Deepnudes gehen viral
In Spanien berichten im September 2023 zahlreiche Eltern über die Veröffentlichung von Deepnudes ihrer Töchter. Es sorgte EU-weit für Schlagzeilen.
Unsere Petition vor dem Digitalministerium
HateAid sammelte 2023 bei der Petition #MyFaceMyChoice 76.937 Unterschriften. Digitalminister Volker Wissing antwortete nie auf die Forderung, Porno-Manipulation durch Face Swap Apps endlich zu stoppen. Im Oktober 2023 zogen wir gemeinsam mit Unterstützer*innen vor sein Ministerium und haben die Petition übergeben. Jetzt ist Volker Wissing dran und muss handeln!
Die Thematik wird von unterschiedlichster Seite viel besprochen und trotzdem fehlen immer noch die nötigen Gesetze und Regelungen.
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