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Zwei Frauen, die sich in einer Beratungssituation an den Händen halten.

Rat für Betroffene von Online-Hass in der Corona-Pandemie

Digitale Gewalt hat während der Pandemie massiv zugenommen. Unsere Betroffenenberaterin Clara Taruba spricht im Interview über die aktuelle Lage und gibt Betroffenen Tipps, wie sie mit Angriffen im Netz umgehen können.

Die Nachrichten sind voll von Menschen, die aufgrund ihres Engagements für das Impfen oder die Corona-Maßnahmen von Hater*innen angefeindet werden. Um welche Personen- und Berufsgruppen geht es hier?

Clara Taruba: Das sind vor allem Menschen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, etwa Pfleger*innen oder Ärzt*innen. Aber auch Leute, die sich mit ihrem Engagement, als Selbstständige oder Unternehmer*innen, öffentlich gegen Querdenker*innen positionieren und sich für eine Impfpflicht aussprechen. Diese Personengruppen bekommen auch genau deswegen viel Hass ab. Öffentliche Kommentare auf ihren Social-Media-Profilen oder private Nachrichten, die sie bekommen, beziehen sich in vielen Fällen auf ihre Einstellung oder ihre Aktivitäten bezüglich Corona und der drohenden Impfpflicht.

Eine Pflegeperson und ein*e Patient*in im Gespräch.
Foto: Pixabay

Womit werden diese Menschen attackiert?

Clara Taruba: Das sind ganz unterschiedliche Sachen. Das geht von bloßen Beleidigungen bis hin zu Rufmord. Den Menschen wird zum Beispiel angedroht, dass sie bei den zuständigen Berufskammern, etwa den Ärzt*innenkammern, angezeigt werden. Die Menschen, die so etwas tun, wollen Druck machen und damit ein Berufsverbot für die Betroffenen erreichen. Sie wollen die Betroffenen daran hindern, ihre Arbeit weiter auszuführen. Dazu kommt, dass teilweise auch wirklich Morddrohungen ausgesprochen werden oder die Verfasser*innen von solchen Nachrichten auf körperliche Gewalt Bezug nehmen. Oftmals erwähnen sie auch, dass sie wüssten, wo Betroffene leben, dass sie den genauen Wohnort kennen oder den Aufenthaltsort von Familienangehörigen. Sie weiten ihre Drohungen also auch auf das nähere Umfeld der betroffenen Personen aus. So versuchen sie, massiv Druck auszuüben.

Mit Bezug auf Ärzt*innen und ihre Teams geschieht es ganz oft, dass sie Nachrichten über das Praxis-E-Mail-Postfach erhalten. Es werden Anrufe getätigt, Telefonterror ausgeübt. Wir haben in der Beratung auch schon von Fällen gehört, in denen das Praxispersonal von Patient*innen angegriffen oder beschimpft wurde. Im Digitalen sehen wir einen starken Schwerpunkt bei Telegram. Dort gibt es einschlägige Querdenker*innen- & Verschwörungsideolog*innen-Gruppen, wo sich Menschen miteinander austauschen, die hinsichtlich Corona einer Meinung sind. Gruppen, die hauptsächlich dazu dienen, Hass und Hetze über bestimmte Leute zu verbreiten und sich weiter zu radikalisieren.

Beraterin Clara Taruba
Die Betroffenenberaterin Clara Taruba setzt sich bei HateAid seit 2020 gegen digitale Gewalt ein. Foto: Andrea Heinsohn Photography

Wie gehen Betroffene in der schon sowieso schweren Corona-Zeit mit solchen Anfeindungen um?

Clara Taruba: Ich habe erlebt, dass es für einige Mediziner*innen eine Strategie sein kann, dass sie ihre berufliche Tätigkeit vollkommen von sich als Privatperson abgrenzen. Sie versuchen dann, das Erlebte nicht so nah an sich herankommen zu lassen, es nicht so persönlich zu nehmen. Das wird natürlich schwieriger, wenn auch Drohungen gegen das äußere Umfeld, gegen die Familie oder auch das Personal, ausgesprochen werden. Dann muss jede*r für sich selbst entscheiden, wie sie*er damit umgeht. Denn in solchen Fällen bekommen es auch Menschen mit einer Strategie mit der Angst zu tun, wenden sich an die Polizei oder andere offizielle Stellen. Oder sie wenden sich an HateAid. Zum Beispiel Ärzt*innen, die angegriffen werden. Sie rufen stellvertretend für ihre Praxen an. Meistens stehen sie selbst im Fokus von Hass und Hetze. Aber wir machen auch all ihren Angestellten das Angebot, dass sie sich jederzeit an uns wenden können.

Wie gestaltet sich das Beratungsgespräch? Welche ersten Steps geht ihr mit Betroffenen an?

Clara Taruba: Erst einmal versuchen wir, die Person emotional zu stabilisieren. Wie geht es ihr? Ist sie emotional, psychisch sehr belastet? Wenn das der Fall ist, schauen wir zunächst, ob es Unterstützungsmöglichkeiten im sozialen Umfeld der betroffenen Person gibt, etwa ein*e Freund*in, die schnell vorbeikommen kann. Oder wir greifen auf unser großes Netzwerk an spezialisierten Beratungsstellen zurück und vermitteln vor Ort weiterführende psychologische Unterstützung für die betroffene Person. Wenn die Person in einer guten Verfassung und in der Lage ist, nächste Schritte einzuleiten, tun wir das auch. 

Diese könnten zum Beispiel darauf abzielen, gemeinsam auf die Sicherheit zu schauen und zu prüfen, ob es in ihrem Fall ein konkretes Bedrohungsszenario, die Gefahr gibt, dass auch analog etwas passieren könnte. Dann schauen wir gemeinsam auf die privaten Daten der Person, führen einen Privatsphäre-Check durch. Das dreht sich um Fragen wie: Ist die private Wohnadresse öffentlich auffindbar? Könnte dies ein Angriffspunkt sein? Sind andere Daten, wie zum Beispiel Infos zu Angehörigen, leicht auffindbar? Auf diese Weise versuchen wir, Sicherheitslücken zu identifizieren und zu schließen. Wir besprechen mit Betroffenen eine Melderegistersperre und schauen, was sonst noch gelöscht werden muss, damit es so wenige Angriffspunkte nach außen wie möglich gibt.

Wie geht es dann weiter?

Clara Taruba: Danach schauen wir uns die Inhalte genauer an, mit denen Betroffene attackiert wurden. Wir prüfen, ob es Kommentare gibt, die gelöscht werden sollten oder solche, die gegebenenfalls strafrechtlich verfolgt werden können. Wir fragen bei den Betroffenen ab, ob schon Anzeigen laufen oder wir dabei unterstützen können. Und wir blicken auch auf die Zeit danach: Wie können Betroffene in Zukunft mit Drohungen, Hassnachrichten oder anderen digitalen Angriffen umgehen? Ist es vielleicht nötig, die E-Mail-Adresse der Praxis von der Website zu nehmen, die Social-Media-Profile erst einmal in den Privatmodus zu stellen? Oder die Praxistelefone abzustellen?

Wichtig ist es, Herr*Frau über die Lage zu werden und die Situation einzuordnen. Das sind die zentralen Dinge, die im ersten Gespräch geklärt werden. Bei manchen Betroffenen bleibt es bei diesem einen Gespräch, aber es gibt auch Personen, bei denen mehrere Gespräche Sinn machen. Zum Beispiel, wenn es konkrete Bedrohungsszenarien gibt, neue Ereignisse besprochen werden müssen, der Stand der Beratung geprüft wird oder es noch Rückfragen zur rechtlichen Durchsetzung gibt, die wir gerne mit ihnen klären.

Eine Person vor einem Laptop, die mit ihren Händen gestikuliert.
Berater*innen bei HateAid stehen Betroffenen bei und helfen ihnen bei den nächsten Schritten, wenn sie online angegriffen wurden. Foto: Unsplash

Was kann Betroffenen helfen, wenn sie angegriffen werden?

Clara Taruba: Es kann helfen, sich regelmäßig mit einer vertrauten Person auszutauschen. Denn Betroffene müssen das alles nicht mit sich selbst ausmachen. Es kann guttun, ein Outlet für das Erlebte zu finden. Betroffene können mit Menschen aus dem eigenen Umfeld darüber reden oder mit professionell ausgebildeten Personen, etwa Psychotherapeut*innen. Es kann besonders belastend sein, wenn Betroffene massive psychische Gewalterfahrungen machen, und das vielleicht über einen längeren Zeitraum. Wir schlagen Betroffenen auch vor, dass sie versuchen könnten, sich von dem Erlebten innerlich abzugrenzen und zu distanzieren.

Eine Frau mit gelbem Regenmantel und Hut läuft.
Manchmal ist es wichtig für Betroffene, sich von Erlebtem zu distanzieren, um alles zu verarbeiten. Foto: Pixabay

Manchmal kann es helfen, sich zu distanzieren und sich klarzumachen, dass die Angriffe nichts mit einem persönlich zu tun haben. In den meisten Fällen dienen Betroffene Angreifer*innen leider als Projektionsfläche. Meist sind das Menschen, die ein ganz anderes Problem haben und ein Ventil für ihre Wut oder Unzufriedenheit suchen. Wenn man sich dies immer wieder in Erinnerung ruft, kann es helfen, das Erlebte zu verstehen und zu verarbeiten. Aber natürlich ist das leichter gesagt als getan. Gerade in akuten Bedrohungssituationen, in denen es schwierig ist, an etwas anderes zu denken, sollte keine*r sich dazu zwingen. Klappen kann es in einer ruhigen Minute, in der man noch einmal alles Revue passieren lässt und in der Lage ist, sich aktiv zu distanzieren.

Welche 5 Tipps würdest du Betroffenen geben, die wegen ihres Einsatzes in der Corona-Pandemie digitaler Gewalt ausgesetzt ist?

Sprich mit anderen darüber!
Das Gespräch mit Außenstehenden oder auch professionell ausgebildeten Personen kann guttun, um einen klaren Kopf zu behalten, die Situation einzuordnen und sich davon zu distanzieren.
Tu dir etwas Gutes!
Manche Betroffene greifen auf für sie persönlich bewährte Stressbewältigungsstrategien zurück, zum Beispiel Spaziergehen, Yoga, Meditieren, Sport machen, etwas Gutes essen oder ein Glas Wein trinken.
Werde aktiv, wenn du möchtest!
Es kann auch helfen, direkt nach einem Angriff aktiv zu werden, wenn dir danach ist. Zum Beispiel könntest du rechtssichere Screenshots von Kommentaren gegen dich machen, die dir dann später dabei helfen, dagegen vorzugehen. Du kannst auch jemanden fragen, ob er dir helfen will, dann könnt ihr gemeinsam aktiv werden.
Stell Fragen!
Manchen Menschen hilft es auch, sich mit den Täter*innen zu befassen und zu verstehen, woher die Angriffe kommen und welche Gründe oder Absichten Verfasser*innen von Hassnachrichten oder Drohungen haben. Das lenkt nicht unbedingt davon ab, aber Betroffene können sich manchmal besser von der ganzen Sache abgrenzen, wenn sie erst einmal die Gründe verstehen und sehen, dass sich Kommentare oder Nachrichten nicht gegen sie als Person richten. Die Täter*innen verbreiten Hass und suchen ein Ventil für ihre Wut. Betroffene können dann zur Projektionsfläche werden, ohne, dass sich das auf sie persönlich bezieht.
Leg eine Pause ein!
Vielleicht kommt auch eine Social-Media-Pause für dich in Frage. Betroffene, die sich einfach gar nicht mehr mit dem Thema befassen möchten, können Distanz zwischen sich und die Hater*innen bringen, ihre Profile kurzfristig deaktivieren und sich vielleicht auch physisch von Smartphone, Laptop & Co. distanzieren.

Was rät die HateAid-Beratung Menschen, die sich für COVID-19-Maßnahmen einsetzen und ggf. dafür angefeindet werden?

Clara Taruba: Wir versuchen, sie in ihrem Engagement zu bestärken. Sie sollen sich von Hater*innen nicht mundtot machen lassen. Wir sagen ihnen aber auch, dass sie sich gut vorbereiten sollten, wenn sie an die Öffentlichkeit gehen. Wichtig ist es, präventive Maßnahmen zu ergreifen, damit sie sich nicht angreifbar machen, wenn sie sich zu kritischen Themen äußern. Das heißt, möglichst wenige Informationen im Netz von sich preiszugeben. Und auch das Umfeld zu sensibilisieren, dass es auch zu solchen Angriffen kommen kann. Wir geben Tipps, wie Nahestehende gegebenenfalls darauf reagieren könnten. Das Umfeld kann auch helfen, Betroffene zu schützen, indem sie aufmerksam sind, Betroffene über Auffälliges informieren und Kommentare melden oder selbst die Stimme erheben.

Was kann jede*r Einzelne, ob betroffen oder nicht, dafür tun, dass das Netz sicherer und friedlicher wird?

Clara Taruba: Ein erster Schritt wäre es, aus der stillen Mitlesendenschaft herauszutreten und sichtbar zu werden. Der betroffenen Person eine Nachricht zu schreiben oder solidarisch und empathisch kommentieren. Eine kürzlich publizierte Studie zeigt, dass solche empathischen Kommentare auch von Täter*innen gelesen werden und dazu beitragen können, dass sie weniger Hass verbreiten. Wenn man sieht, dass jemand gerade viele negative Kommentare bekommt, kann man auch helfen, indem man diese oder die Verfasser*innen meldet. Supporter*innen können aber auch selbst Screenshots machen und Angriffe bei Meldestellen anzeigen, um Betroffene zu unterstützen.

Vielen Dank für das Interview, liebe Clara!

Wenn ihr selbst von Hasskommentaren betroffen seid und Unterstützung braucht, könnt ihr euch jederzeit über unser Meldeformular an unsere Beratung wenden.

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